Die Wahrheit darüber, was in der Fotografie wichtig ist

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21. November 2019
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6 Kommentare

Ein Kastenwagen hat viel Raum um sperrige Dinge zu transportieren. Ein Kompaktwagen ist ein vergleichsweise kleines Auto, in dem zwei Personen komfortabel und vier meist noch immer relativ gut fahren und reisen können. Kein Autotester oder -journalist würde auf die Idee kommen an einem Kompaktwagen zu kritisieren, dass sich damit keine Schränke transportieren lassen und dass ein Kastenwagen deshalb besser ist. In der Welt der Fotografie hingegen ist genau das gang und gäbe.

Leute die sich als Experten ausgeben, vermitteln, dass sie objektiv berichten, und erzählen, was die Wahrheit ist, was falsch und was gelogen ist, kritisieren an einer Olympus E-M1X, dass die 3000 Euro für sie ein völlig überzogener Preis ist. Schließlich bekommt man für deutlich weniger Geld schon eine Vollformatkamera. Sie reduzieren einen Fotoapparat ausschließlich auf die Größe des Sensors. Dass die E-M1X abgesehen vom Sensor in vielerlei Hinsicht auf Augenhöhe mit doppelt so teuren Vollformat-Topmodellen steht und ihnen in mancherlei Hinsicht überlegen, zählt nichts. Eine Kamera ist laut ihrer Interpretation ein Sensor und sonst gar nichts.

Der Bewertung einer Kamera rein an der Sensorgröße festzumachen ist völlig undifferenziert, denn das klammert jeglichen Kontext aus. Der Wert und der Nutzen einer Kamera für einen Fotografen ergibt sich allerdings erst aus dem Kontext. Ist der Kontext low light – fotografiert also ein Fotograf oft unter schlechten Lichtbedingungen – ist ein größerer Sensor selbstverständlich besser. Spielt Transport keine Rolle, spricht wenig dafür auf die unbestreitbaren qualitativen Vorzüge einer Kamera mit großem Sensor zu verzichten.

Anders sieht es jedoch aus, wenn der Fotograf mobil sein will. Ist man, wie ich, oft Stunden lang, mit einer Kamera mit Supertele und einer zweiten mit Standardzoom zu Fuß auf Achse, ist Vollformat einfach untragbar. Selbst wenn ich auf die Zweitkamera mit Standardzoom verzichten würde, könnte ich keine Vollformatkamera mit 600mm Brennweite einen Tag lang im Gebirge um die Schulter tragen. Auf die Zweitkamera müsste ich schon deshalb verzichten, weil das Stativ das ich für die Tierfotografie mittragen müsste, mehr wiegen würde und deutlich sperriger wäre, als die E-M5 mit 12–100mm Zoom. Die flexible Freihandfotografie, die mit einer MFT-Kamera und Superzoom möglich ist, ist mit vergleichbarer Brennweite und Vollformat undenkbar. Ganz abgesehen, dass ich mir ein Supertele im Vollformat das etwa meinem 300mm ƒ4 MFT entspricht kaum leisten könnte. Natürlich wäre es im Detail etwas besser, was aber beim vierfachen Preis auch zu erwarten sein sollte. Viele Aufnahmen würden mir damit aber entgehen, da es unmöglich so flexibel einzusetzen ist.

Ich würde nie behaupten MFT wäre generell besser als Vollformat – das wäre absurd. Ich habe noch nie versucht jemandem von MFT zu überzeugen. Wenn mich Leute um Rat zum Kamerakauf fragen, frage ich, was sie zu fotografieren gedenken, dann erläutere ich die Vorzüge der verschiedenen Systeme und Marken und dann gebe ich den Tipp selbst zu einem Fotohändler zu gehen und sich anzusehen, was sich für sie am besten anfühlt. Man kann nur objektiv über Fotoausrüstung berichten, wenn man die subjektiven Anforderungen berücksichtigt. Immer rate ich auch jedem die Ohren einzuklappen und weg zu hören, wenn jemand davon zu predigen beginnt, was in der Fotografie das einzig richtige und wahre ist.

Für mich wäre eine Vollformatkamera eine absolut schlechte Lösung. Zu groß, zu schwer, zu unflexibel. Das ist Fakt, das ist die Wahrheit! Ich kann mit Vollformat unmöglich so arbeiten, wie mit MFT, und schon gar nicht so, wie mit meinen Olympus Kameras.

Natürlich bedeutet das leicht zu transportierende MFT-System Kompromisse bei der Auflösung, bei High-ISO und ich kann nicht ganz die geringe Schärfentiefe von Vollformat erzielen. Aber 20 MP sind mehr als ausreichend für Ausdrucke im A3-Überformat, Nachtfotografie hat für mich keinen besonderen Stellenwert und ich kann Motive auch in Szene setzen, ohne, dass der Hintergrund in strukturlosem Bokeh zerfließt.

Hänge ich eine Auswahl von Aufnahmen der letzten Jahre an die Wände, die teilweise mit einer 24MP Nikon D600 mit Vollformat, teilweise von 16MP und 20MP MFT-Kameras kommen, wird niemand sagen können, welche Aufnahme mit welcher Kamera gemacht wurde. Natürlich hat die 24MP Vollformatkamera das Potenzial für noch größere Prints. Aber ich mache keine größeren Prints! Ich fände es völlig bescheuert, das ganze Jahr über mit einem Kastenwagen herumzufahren, nur für den Fall, dass ich eines Tages doch einmal irgendwo einen Schrank abholen muss.

Würde ich mit Vollformat fotografieren, könnte ich das nicht mehr so machen, wie ich das mit MFT kann. Wieso sollte ich meine Art, wie ich es zu fotografieren liebe aufgeben, für die theoretischen Reserven von Vollformat die ich in der Praxis nicht brauche. Ich hätte nicht den geringsten Vorteil durch Vollformat, nur Nachteile.

Damit schreibe ich nicht gegen das Vollformat! Um es noch einmal zu sagen: Es gibt Aufgaben, bei denen die Vorteile des größeren Formats unverzichtbar sind. Aber es gibt ebenso Aufgaben, für die MFT besser geeignet ist, als jedes größere Format.

Leider scheinen viele die über Fotografie berichten nicht in der Lage die Dinge so differenziert zu sehen. Viele betrachten das Thema in erster Linie aus dem Blickwinkel der Theorie und an Messergebnissen im Labor. Wie viel davon dem fertigen Bild anzusehen ist, ist kaum ein Thema. Darüber hinaus verfallen auch noch viele der allzu menschlichen Neigung für einzig wahr zu halten, was für einen selbst richtig ist. Was für einen selbst nichts ist, muss auch für alle anderen nichts sein. Sie verkünden die WAHRHEIT. Und leider haben viel zu viele dieser Leute viel zu viel Einfluss, vor allem auf Amateure und Einsteiger, die noch keine eigenen Antworten haben, noch keine Erfahrung, und die dankbar sind für Experten, die ihnen sagen was falsch nur was richtig ist. Das klingt besonders verlockend, wenn man es mir viel Theorie und Labortests belegen kann.

An und für sich ist es mir egal, was diese Leute sagen. Ich weiß, dass Olympus exzellente Kameras baut und MFT ein großartiges System ist. Ebenso wie Vollformat toll ist, und wie Canon, Nikon, Sony, Fuji, Panasonic und Pentax tolle Kameras bauen. Bedauerlich ist jedoch, dass die subjektiven, undifferenzierten und einseitigen Betrachtungen die den praktischen Kontext der Fotografie vollständig außer Acht lassen, dazu führt, dass ein System, das eine wirkliche Alternative zum Vollformat ist, ums Überleben kämpft.

Würde MFT wirklich verloren gehen, wäre das – wie ich bereits vor ein paar Tagen schrieb – ein schwerer Verlust für die Fotografie. Wer von Canon Vollformat zu Nikon Vollformat wechselt, wechselt ein Details in der Bedienung. Aber Vollformat ist Vollformat, und das ist es auch bei Pentax, Sony oder Panasonic. MFT hingegen ist ein System mit völlig anderen Eigenschaften – APS-C ist zu Vollformat nur halb so unterschiedlich. Ein Verlust von MFT wäre ein Verlust einer bestimmten Art des Fotografierens.

Antworten

  1. Gratulation zu diesem Destillat! Meine erste selber gekaufte Kamera war eine Yashica FR, dann kam die Olympus OM2 später eine OM4Ti (und vieles bis zum 4×5“). Um 2012 habe ich mir eine OMD E5 gekauft, viel genutzt und dann vergessen. Vor einigen Monaten habe ich nach einer Reisekamera gesucht, die ich bei beruflichen Reisen leicht mitnehmen kann, nur um s/w Photos zu machen. Die Farbfotos mache ich mit einem iPhone. Nach langer Suche (und der Bereitschaft fast 2000 € auszugeben), fiel mir die alte Olympus mit dem 14-42 mm Pancake wieder in die Hände und sie kam als s/w Kamera mit auf Reisen. Was soll ich sagen? Ich bin begeistert! Ultraportabel, einstellbare Grauwertkurve, einstellbare Filter und wenn man mag Korn. Das Ganze mit IBS. Letzteres habe ich nicht einmal in meiner Fujifilm X-T3. Ich nutze die s/w Bilder als Ausgangspunkt für Photogravure; aber auch ausgedruckt fehlt mit da nichts. Auf jeden Fall keine MP.

  2. Mist, …ich wußte gar nicht dass ich schon wieder (…) zu den bedrohten Spezies gehöre!! Gerade eben noch ein MFT 100-400 geleistet…morgen schon wieder alles TOD? Da tobt ein Glaubenskrieg? Auch hier? Ach ja…
    In der Politik, im Fußball, unter Motorradfahrern, Radfahrern, Fotografierenden, … es läßt sich wohl sehr lange fortführen. Jeder muß dauernd jeden überzeugen – wozu??
    Glaubenskriege sind nichts weiter als das eigene Unvermögen, Diversität auszuhalten – mehr noch: sie als bereichernd und „normal“ zu erkennen – und zu genießen!
    Vielfalt erfordert entspannte Betrachtung, Urteilsfähigkeit und „Anstrengung“ und Bildung.
    Miteinander und nebeneinander und entspannt dabei. Freiräume zugestehen!
    Das scheint für satte Muh&Mäh-Völker in Zentraleuropa eines der schwersten Aufgaben der Gegenwart zu sein.

    1. Der Kuchen für die Kamerahersteller wird kleiner. In Zeiten in denen intelligente Smartphones den Bedarf der Massen besser abdecken, als bisher jede Kamera, wird nicht mehr jeder Haushalt eine Kamera haben wollen. Ich erwarte, dass der Markt für richtige Kameras etwa auf die Größe eines Hobbys wie Mountain-Biking oder Heimwerken schrumpfen wird. Ich hoffe, dass sich die derzeit noch am Markt befindlichen Hersteller gesund schrumpfen, und nicht, dass ein Verdrängungskampf am Ende nur mehr zwei oder drei Hersteller übrig lässt. Ein Markt mit weniger Alternativen ist ein ärmerer Markt.

  3. Lieber Markus,

    wenn ich mit meinen verschiedenen Kameras und Altglas ankommen, liegen alle unter dem Tisch 🙂

    Hab von der Pentax Q, Samsung NX mini, über MFT (Olympus + Panasonic), zu Fujifilm und anderen APS-C Kameras bis hin zu FF (Sony A7, A7r, A7II, Canon 5D, 5DII fast alles zu bieten. Ach ja und Foveon-Kameras habe ich auch einige.

    Ich weiß, ich bin völlig plem plem, aber ich wechsle immer nach der Situation aus, was ich gerade brauche. z.B. Pentax Q mit einem Cropfaktor von 5,5 macht aus einem kleinen 50mm Objektiv fast ein 300mm KB-Äquivalent.

    LG Bernhard

  4. Ich möchte mich wieder einmal gerne dieser Meinung anschließen. Ich bin 2012 zu Olympus gewechselt, ein System, das mich gerade wegen seiner Kompaktheit und der hohen Qualität überzeugt hat und immer noch begeistert. Gerade gestern habe ich wieder einmal die Pen-F ausgepackt, für mich einer der am meisten unterschätzten Kameras. Es macht einfach große Freude, diese Kamera in der Hand zu halten und wer schon einmal die S/W-Modi ausprobiert hat, weiß, da ein bißchen ein Leica-M/Monochrome – feeling aufkommt (nur deutlich preiswerter). Hoffe, dass die Marketingstrategen von Olympus das Richtige machen, den tot geredet, ist leider manchmal wirklich bald tot. Und gerade in der umsatzstarken Weihnachtszeit mehr als ungünstig.

  5. 100% agree – mir geht es aber noch mieser. Ich bin mit Panasonic Kameras unterwegs – da wird man noch viiiel schräger angeschaut.

    Ist immer lustig, wenn ich an einen Spot auftauche, umgeben von grossen N, C und S Kameras und ich stelle dann meine GX8 oder GH5 auf das leichte Stativ 😉

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