Definitiv: Ja. Allerdings wohl noch nicht für jeden.
Affinity von Serif
Affinity ist nicht etwa wie man annehmen möchte eine Firma, sondern eher eine Art Produktschiene die sich anschickt einem Produktpaket aus dem Hause Adobe Konkurrenz zu machen. Dahinter steckt das Britische Software-Unternehmen Serif mit Sitz in Nottingham und 190 Mitarbeitern, das wohl schon seit längerem grafische Software für Anwender abseits der professionellen Grafikbranche entwickelt. Offensichtlich hat man mit der Abwendung Adobes vom Softwareverkauf und deren Wechsel von der Creative Suite zur Creative Cloud erkannt, dass am Markt Bedarf an einer Alternative besteht. Laut eigenen Angaben wurde in den letzten fünf Jahren an dieser Alternative gearbeitet.
Affinity statt Creative Suite Standard Collection
Als Zielgruppe dürfen sich Alle angesprochen fühlen die früher mit der Adobe Creative Suite Standard arbeiteten die die Produkte InDesign, Photoshop und Illustrator umfasste, bzw. alle die mit diesen Produkten ihr Auslangen finden.
Bereits im Oktober 2014 veröffentlichte Serif das aufsehenerregende Vektorprogramm Affinity Designer als Alternative zu Adobes Illustrator. Im Juli dieses Jahres folgte die offizielle Veröffentlichung von Affinity Photo.
Kaufen statt mieten
Augenfälligster Unterschied zu den Produkten Adobes: Affinity Photo und Designer werden nach einem klassischen Modell verkauft und nicht in Form eines Abomodells vermietet. Der Preis liegt dabei mit knapp 50 Euro pro Software weit unter dem was die Creative-Suite-Produkte früher kosteten. Bezogen werden kann die Software über den Mac App Store.
Wo bleibt Windows?
Derzeit gibt es nur Mac-Versionen. Ich nehme einmal an, dass die Eroberung des Marktes über eine Plattform etwas ressourcenschonender ausfallen dürfte und da die Zielgruppe, vor allem der professionelle Anteil, eher auf dem Mac zuhause ist, lag dieses Betriebssystem wohl näher. Hinzu kommt, dass man Mac-Usern nicht ganz unbegründet nachsagt, sie hätten Vorurteile gegenüber Windows – nicht wenige, die Produkte aus der Windows-Welt kaum mit der Kneifzange angreifen würden. Ein neues Produkt aber speziell und nur für den Mac? Super! Endlich sind wir wieder einmal exklusiv und elitär.
Serif allerdings scheint mir soweit ich es sehe eher in der Windows-Welt verwurzelt und deshalb ging ich von Anfang an davon aus, dass eine Windows-Version nur eine Frage der Zeit ist. Soweit man hört scheint sie tatsächlich bereits in Arbeit und man darf wohl mit einer Veröffentlichung im Laufe des nächsten Jahres rechnen. Ist auch richtig und wichtig, denn um sich wirklich auf dem Markt etablieren zu können müssen mindestens diese beiden Plattformen bedient werden – glaube ich zumindest.
Designer und Photo folgt Publisher
In Bälde soll dem Paket aus Photoshop- (Affinity Photo) und Illustrator-Alternative (Affinity Designer) noch eine InDesign-Alternative (Affinity Publisher) folgen. Nach dem was ich bereits von Affinity Designer und Photo gesehen habe bin ich sehr gespannt auf das Produkt. Vorab aber schon einmal für alle die sich jetzt fragen ob man damit InDesign-Dokumente wird öffnen können: Soweit in den Foren zu lesen ist würde sich das extrem schwierig gestalten und eine entsprechendes Feature ist bislang nicht geplant.
Sehr positiver Ersteindruck
Zurück aber zu Affinity Photo und zur Frage in wie Fern das Programm eine ernstzunehmende Alternative zu Photoshop ist.
Meinereiner platzierte eine üble Erkältung exakt zwischen Heimkehr aus dem Urlaub und Beginn meiner ersten Unterrichtseinheiten nach der Sommerpause und nutzte die Zeit im Krankenbett sich das ganze Tutorial-Material zu den Affinity-Produkten rein zu ziehen. Verdammt viel Material und vor allem zu Affinity Photo bedingungslos professionell aufbereitet, mit einem der besten Trainer dem ich bislang lauschte.
Nachdem ich nun wieder halbwegs auf den Beinen bin habe ich gleich die Probe aufs Exempel gemacht und ein paar zentrale Beispiele aus meinem neuen Photoshop-Buch mit Affinity Photo durchgespielt.
Arbeiten wie gewohnt
Das schöne am Programm ist, dass es extrem nah an Photoshop angelehnt ist, bis hin zu vielen Shortcuts. Wer Photoshop beherrscht fühlt sich in Affinity Photo rasch zuhause. Es gibt natürlich Dinge die anders gestaltet sind und über die man stolpert wenn man versucht es auf die von Photoshop gewohnte Weise zu machen. Unterm Strich jedoch: Erfahrungen aus Photoshop müssen nicht über Bord geworfen sondern können einfach mitgenommen werden.
Affinity Photo läuft very fast and smooth, allerdings würde ich diesbezüglich auch über Photoshop nicht klagen. Anders als bei Photoshop erscheint das User-Interface wie aus einem Guss. Die RAW-Entwicklungsumgebung ist kein separates Programm wie Adobe Camera Raw sondern sehr schön als sogenannte »Develop Persona« angelegt. In wie Fern die Qualität der RAW-Entwicklung mit jener von ACR mithalten kann kann ich zum Zeitpunkt nicht beurteilen, doch da ich meine RAWs in der Regel ohnehin in Capture One entwickle ist das für mich auch keine wirklich relevante Frage.
Neben der zentralen »Photo Persona« und der »Develop Persona« findet der Anwender noch eine »Liquify Persona« (praktisch identisch mit dem Filter »Verflüssigen« in Photoshop) und eine »Export Persona« (am ehesten mit »Für Web speichern« zu vergleichen).
Wo Affinity Photo glänzt ist bei der Retusche und beim Einsatz von Filtern: In Affinity Photo lassen sich Filter wie Einstellungsebenen in Photoshop anwenden. Eine vergleichbare Arbeitsweise ist in Photoshop zwar mit Hilfe von Smartobjects möglich aber Affinity Photos Ansatz scheint mir intuitiver und effizienter.
Smarte Objekte an sich gibt es bislang keine, was in meinen Augen zu verschmerzen ist, laut Aussagen in den Foren wird aber an etwas gearbeitet das besser sein soll.
Noch nicht auf Augenhöhe mit Photoshop befindet sich Affinity Photo wenn es um High-end-Farb- und Tonwerteinstellungen geht. Tonwertkorrekturen und Gradationskurven beinhalten keine Weisspunkt-, Schwarzpunkt- und Mitteltöne-Pipette (wobei ich in erster Linie letztere vermisse), ich habe keinen Shortcut für Unter- und Überbelichtungswarnung beim Einrichten von Schwarz- und Weißpunkt gefunden, die Histogramm-Palette kann Helligkeits- und Farbkanäle nicht nebeneinander darstellen, Kanäle lassen sich in Tonwertkorrektur und Kurven nicht per Shortcut auswählen, eine Pipette für Messpunkte habe ich vergeblich gesucht und »Schatten/Lichter« muss man im Vergleich zu Photoshops »Tiefen/Lichtern« als Witz bezeichnen.
Wer jetzt keine Ahnung hat was das Alles bedeutet, was ich im vorangegangenen Absatz als vermisst angekreidet habe, wird es wohl nicht brauchen und nicht vermissen. Ich schätze 90–95% der Anwender dürften problemlos ohne diese Features leben können. High-end-Bildbearbeiter hingegen werden sie so wichtig sein, dass ein Umstieg auf Affinity Photo zum jetzigen Zeitpunkt wohl eher nicht in Frage kommt.
Serif sollte sich anstrengen hier rasch nachzubessern, denn ein Urteil der Experten im Sinne von, »nett, aber für den professionellen Einsatz nicht zu gebrauchen«, wird wohl auch jene vom Programm Abstand nehmen lassen, die keine Ahnung haben wie sie diese Profifunktionen überhaupt einsetzen könnten. Und ist der Ruf erst einmal ruiniert …
Fazit
Affinity Photo ist aktuell sicher die preiswerte Alternative zu Photoshop für alle die Bildbearbeitung auf vergleichbarem Niveau betreiben aber kein Abo abschließen wollen, am Mac arbeiten und auf die Feinheiten der High-end-Farb- und Tonwertkorretur verzichten können. Dabei erspart die Software dem Anwender viele Me-too-, Spezial- und Firlefanz-Funktionen mir der Photoshop über die Jahre belastet wurde. Einen Blick wert ist das Programm allemal und von mir aus eine klare Empfehlung.
PS: Eine Ausrede Photoshop zu klauen, weil man die Kohle dafür nicht abdrücken möchte, gibt es nun zumindest am Mac auch nicht mehr.
Nachtrag: Ich habe mittlerweile einen ersten Screencast über Affinity Photo aufgenommen. Weitere sollen folgen.
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