Schärfentiefe und Abbildungsmaßstab

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23. September 2016
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12 Kommentare

An verschiedenen Stellen in meinem Blog steht zu lesen, dass die Brennweite die Schärfentiefe beeinflusst: Je länger die Brennweite desto geringer die Schärfentiefe. Nicht zum ersten Mal wurde ich vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass die Brennweite keinen Einfluss auf die Schärfentiefe habe sondern lediglich Abbildungsmaßstab und Blende dazu beitrügen.

Die Anmerkung ist theoretisch so richtig wie praktisch falsch. Um den Denkfehler zu demonstrieren habe ich mir von meinem freundlichen Fachhändler ein Objektiv mit großem Brennweitenumfang ausgeborgt – einmal mehr gilt mein Dank Foto Hebenstreit für die Unterstützung. Natürlich hätte ich auch zwei meiner Objektive nehmen können, doch ich wollte verhindern, dass mir jemand vorwerfen kann die verschiedenen Linsen hätten die Ergebnisse verfälscht.

Im ersten Aufbau habe ich einen Textmarker etwa einen halben Meter vor meinem Bücherregal aufgehängt, und dann einmal bei 14mm aus geringer und einmal bei 150mm aus größerer Distanz abgelichtet.

weitwinkel
Brennweite 14mm (28mm KB), Blende ƒ5.6
tele
Brennweite 150mm (300mm KB), Blende ƒ5.6

Ich kann mir nicht helfen, doch bei der Aufnahme mit langer Brennweite wirkt die Schärfentiefe bedeutend geringer als bei jener mit kurzer Brennweite.

Theoretisch stimmt es zwar, dass die Schärfe des Hintergrunds bei beiden Aufnahmen praktisch gleich ist. Doch während das Weitwinkel den Hintergrund in die Tiefe rücken lässt und einen bedeutend größeren Ausschnitt abbildet, während mit Tele der Hintergrund an das fokussierte Objekt heranrückt und größer abgebildet wird, ist der praktische Effekt jener einer geringeren Schärfentiefe.

Um das zu verdeutlichen habe ich in den beiden Aufnahmen einen etwa gleichen Ausschnitt markiert und auf ihn zugeschnitten und dann auf die gleiche Größe gebracht. Der Vergleich der beiden Aufnahmen zeigt, dass die Unschärfe des Hintergrunds tatsächlich identisch ist.

weitwinkel-ausschnitt
Ausschnitt aus der Weitwinkelaufnahme
tele-ausschnitt
Ausschnitt aus der Teleaufnahme

Wie ihr seht ist der Unterschied in der Unschärfe des Hintergrunds marginal, und dass überhaupt ein Unterschied sichtbar ist liegt an der mangelnden Präzision meines Versuchsaufbaus. Dennoch zeigt sich: Die Theorie, dass die Schärfe des Hintergrunds bei identischem Abbildungsmaßstabs des fokussierten Objekts im Vordergrund korrekt ist.

Praktisch jedoch führt die Verdichtung durch das Tele dazu, dass der Hintergrund näher rückt und seine Elemente mitsamt ihrer Unschärfe vergrößert abgebildet werden.

Der Ausschnitt aus der Weitwinkelaufnahme ist eine 1:1 Abbildung und hat eine Höhe und Breie von 474 Pixel. Der Ausschnitt aus der Teleaufnahme hingegen ist eine Verkleinerung – ich habe ihn auf die gleiche Größe wie den Weitwinkelausschnitt hinunter gerechnet. Vor dem Hinunterrechnen hatte er eine Höhe und Breite von 1554 Pixel. Das heißt die effektive Unschärfe war mehr als drei Mal so hoch wie bei der Weitwinkelaufnahme.

Theoretisch ist es also richtig, dass die Unschärfe der Elemente im Hintergrund identisch ist. Praktisch jedoch ist die Unschärfe durch die Verdichtung längerer Brennweiten größer – und das noch nicht einmal theoretisch sondern tatsächlich effektiv, sichtbar und nachvollziehbar.

Hier noch die zweite Versuchsanordnung. Der Grund für das hohe Rauschen aller Bilder ist übrigens, dass ich den Versuch zwischendurch einmal bei available light machte und deshalb einen hohen ISO-Wert wählen musste.

weitwinkel2
Brennweite 14mm (28mm KB) bei Blende ƒ5.6 aus geringer Distanz
tele2
Brennweite 150mm (300mm KB) bei Blende ƒ5.6 aus großer Distanz

Ich kann nur raten sich in der Fotografie nicht zu sehr auf die Theorie zu versteifen, sondern sich vor allem um die Praxis zu kümmern. Die Schärfentiefe sei unabhängig von der Brennweite kann man doch nur behaupten, wenn man das irgendwo gelesen, aber nie die Wirkung von unterschiedlichen Brennweiten auf die Schärfentiefe verglichen hat. Oder drastisch ausgedrückt: Der Einfluss der Brennweite auf die Schärfentiefe kann einem als praktizierender Fotograf doch nicht entgehen!

Nachtrag: All jenen die mehr über die theoretischen Grundlagen und Hintergründe von Schärfentiefe und Abbildungsmaßstab erfahren wollen empfehle ich ein ein PDF das bei Carl Zeiss heruntergeladen werden kann.

Antworten

  1. … bitte bei Gelegenheit den Verweis zum Dokument mal erneuern:
    http://lenspire.zeiss.com/photo/app/uploads/2022/02/technical-article-depth-of-field-and-bokeh.pdf

    Danke

    Grüße,
    ZJMAD

  2. Ich finde deinen Test sehr nett, allerdings mogelst du in der zweiten Versuchsanordnung natürlich, da sich die Perspektive verändert hat.
    Aber ich stimme dir darin zu, dass man sich in der Praxis an der Brennweite orientiert, Abbildungsmasstab ist eine Größe, die man eig nur bei Macro im Kopf hat.

  3. Du sprichst (schreibst) mir aus der Seele, wie oft habe ich dieses …Argument schon gehört.
    In Zukunft werde ich alle einfach auf diesen Beitrag verweisen 😉

    Schöne Grüße aus Salzburg

  4. Lieber Herr Wäger
    Die Meinung, dass die Schärfentiefe DΔ allein von Blende k und dem Abbildungsmaßstab m abhängen soll, kommt wohl aus der Makrofotografie … DORT mag es so sein …
    Wer dies aber verallgemeinern möchte, müsste dies durch eine schlüssige Formel belegen, also DΔ(k,m,zo) zeigen … 🙂
    DANKE für alles und liebe Grüße – Martin Messmer

    1. Ich muss zugeben, dass Formeln immer etwas ratlos gegenüber stehe, es klingt für mich aber nach Zustimmung. Dank zurück und ebenso schöne Grüße.

      1. Genau – ich stimme Ihnen zu 🙂

        DΔ ≈ 2*k*zo*(m+1)/m^2

        … stimmt nur ungefähr, wenn gilt:

        g – f << Dh

        … also, wenn die Schärfentiefe DΔ klein wird, was natürlich bei der Makrofotografie der Fall ist – aber nicht nur dort …
        Ist Dh/(g–f) = 10, wird der Fehler immer noch etwa 10%! Zum Glück wird DΔ zu klein berechnet 😉 also wenigstens auf die sichere Seite falsch, wenn man denn Schärfe sucht – man verschenkt einfach Licht …
        Die generelle Aussage, dass «Schärfentiefe nur von m und k und zo abhängt», ist aber eindeutig ziemlich mutig, eigentlich falsch – oder eben: an strenge Bedingungen geknüpft! —

        DANKE für Ihre riesige Arbeit … das ist unendlich wertvoll!

        Liebe Grüße – Martin Messmer

      2. Danke für die Mühe. Ist bei mir aber vergebens. Wenn es um Zahlen geht ist bei mir Hopfen und Malz verloren. Ich hör auch immer beim Steuerberater ein Surren in meinem Kopf, wenn das Gehirn hochgefahren wird, damit der Schall ungehindert den Weg vom einen Ohr herein und zum anderen hinaus ungehindert passieren kann. Ich probier lieber aus und versuche die Dinge praktisch zu verstehen.
        Danke auch für deinen Dank. Es gut gelegentlich zu hören/lesen, dass die Mühe die man investiert estimiert wird.

      3. Ja – das wird sie! Auch Ihre Bücher … Liebe Grüße und – besser fotografieren als die Steuern erklären …..

  5. Vielen Dank für den Artikel. Aber scheinbar ist auch theoretisch die Schärfentiefe von der Brennweite abhängig.
    http://www.elmar-baumann.de/fotografie/schaerfentiefe/node19.html

    https://www.zeiss.com/content/dam/Photography/new/pdf/de/cln_archiv/cln35_de_web_special_bokeh.pdf

    und wer will schon Zeiss widersprechen 😉

    VG Thomas

    1. Danke, Thomas. Deshalb habe ich auch schon vor einiger Zeit auf das von dir verlinkte PDF verwiesen. 🙂

  6. Gedankenübertragung!
    Ich wollte heute einen beinahe identischen Test bewerkstelligen da die unterschiedlichsten Meinungen dazu kursieren.
    Ich glaubte bisher immer dass alleinig der Abbildungsmaßstab des Vordergrunds entscheidet.
    Danke, sehr aufschlussreicher Beitrag.

    SG
    Armin

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