Bokeh und Schärfentiefe sind nicht dasselbe!

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17. Dezember 2019
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2 Kommentare
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Diskussionen über Kamerasysteme drehen ich beinahe ausschließlich um vier Faktoren: Auflösung, High-ISO-Performance, Dynamikumfang und »Bokeh«. Dabei hat ein Kamerasystem dutzende Eigenschaften – und ich meine damit wirklich viele Dutzend! Ob es Zufall ist, dass ausgerechnet Eigenschaften im Zentrum der Debatten stehen, mit denen sich die vermeintliche Überlegenheit von Vollformat belegen lässt?

Ich vermute, viele Fotografen halten diese vier Aspekte deshalb für von so zentraler Bedeutung, weil viele Fotografen behaupten, dass sie das sind. Ich glaube aber, dass es nicht möglich ist herauszufinden, was für einen persönlich von echter Bedeutung ist, wenn man sich darauf verlässt, was andere als bedeutend proklamieren. Man kann nur selbst herausfinden, was für einen das Optimale ist. Das birgt natürlich das Risiko, etwas zu kaufen, das sich in der Praxis nicht bewährt. Ich habe schon Unmengen an fotografischem Zubehör gekauft, das meinen praktischen Anforderungen nicht gerecht wurde. Allerdings ist die Qualität von Kameras und Objektiven heute quer über alle bekannten Marken hinweg dermaßen hoch und die Technik so weit entwickelt, dass die Wahrscheinlichkeit ein für den eigenen Anspruch völlig ungeeignetes System zu erwischen ausgesprochen gering ist.

Über Auflösung habe ich schon viel, über Rauschverhalten einiges gepostet – ich denke dem Thema Dynamikumfang werde ich mich demnächst einmal zuwenden. Heute möchte ich mich einem Missverständnis bzw. einer Missinterpretation von Bokeh widmen.

»Bokeh« kommt aus dem Japanischen, und steht für die Qualität der Unschärfe einer Aufnahme. Praktisch quer durch die ganze Blogo- und Vlogosphäre wird Bokeh mit geringer Schärfentiefe gleichgesetzt. Doch das entspricht nicht der eigentlichen Bedeutung des Wortes. Eine Kamera-Objektiv-Kombination kann zu einer ausgesprochen geringen Schärfentiefe führen und gleichzeitig ein unschönes Bokeh erzeugen.

Selbst fasziniert von geringer Schärfentiefe habe ich mir zu meiner zweiten OM-D – der E-M1 – ein manuelles Voigtlaender 45mm ƒ0.95 Nokton gekauft. Bei Porträts vor dem einfarbigen Hintergrund des Studios hat das zu absolut wunderbaren Aufnahmen geführt – ich liebe jedenfalls den Charakter des Porträts oben. Vor unruhigem Hintergrund hingegen erzeugte diese Linse ein Bokeh mit dem ich mich überhaupt nicht anfreunden konnte.

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Unten ist ein 100%-Ausschnitt aus dem Foto oben zu sehen. In den kontrastreichen Details im Unschärfebereich zeigen sich pinke und sattgrüne Farben, die da nicht hin gehören. Das Objektiv erzeugt zwar eine sehr geringe Schärfentiefe (vergleichbar mit ƒ1.8 bei Vollformat) aber das Bokeh ist definitiv nicht schön.

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Ein Objektiv mit dem ich einige Zeit besonders gerne fotografierte, war das Sigma 24mm ƒ1.8 (an der Nikon D700). ƒ1.8 ist eine enorme Lichtstärke für ein 24mm Weitwinkel und ermöglicht Aufnahmen mit ganz speziellem Charakter. In den meisten Fällen erhielt ich damit ein schönes Bokeh. In der speziellen Situation unten jedoch wirkt das Bokeh harsch und hart.

Nikon D700 | Sigma 24mm ƒ1.8 | 24.mm | ƒ2 | 1/40s | ISO200

Es ist eine Tatsache, dass das MFT-System bei vergleichbarer Brennweite und selber Blende eine um zwei Blendenstufen größere Schärfentiefe abbildet, als Vollformat. Das heißt aber nicht, dass man behaupten kann, Vollformatobjektive hätten ein um zwei Stufen schöneres oder besseres Bokeh. Die Qualität von Bokeh lässt sich zwar subjektiv beurteilen, aber nicht objektiv messen!

Die Schärfentiefe von MFT ist unter vergleichbaren Bedingungen zwar geringer als mit größeren Formaten. Nach meinem Dafürhalten liefern sie aber oft eine besonders weiche und attraktive Weichzeichnung. Als ich zum ersten Mal mit der E-M1 fotografierte hatte ich ein geliehenes 12–50mm ƒ3.5–6.3 im Einsatz. Was mich dabei überrascht hat, war das attraktive Bokeh, das es in Porträtsituationen abgebildet hat, obwohl doch ƒ6.3 bei 100mm KB alles andere als berauschend klingt.

Rückblickend und mit der Erfahrung von heute betrachtet sehe ich zwar, dass der Hintergrund keine besonders ausgeprägte Unschärfe zeigt, allerdings doch ausreicht, um ein Subjekt vom Hintergrund hervorzuheben. Ich wage auch zu behaupten, dass weniger und dafür weiche Unschärfe besser für den Charakter einer Aufnahme ist, als starke jedoch unruhige Weichzeichnung. Dass Betrachter die selbst nicht fotografieren (und nicht von Bokeh besessen sind) etwas detailliertere Hintergründe sogar bevorzugen, gegenüber völliger Auflösung jeglicher Struktur in Unschärfe, legt ein Video nahe, das ich hier geteilt habe.

Ich möchte damit den Faktor Bokeh nicht klein reden. Ich habe schon einige Aufnahmen gesehen, von denen ich sicher bin, dass sie so mit meinem MFT-System nicht zu machen gewesen wären. Ich hatte einmal das Vergnügen mit einem Nikkor 200mm ƒ2.0 zu fotografieren. Das ist ein umwerfendes Objektiv mit dem sich ganze Personen von Kopf bis Fuß vom Hintergrund freistellen lassen – ich habe nichts, womit ich das annähernd erreichen könnte. Das Objektiv liefert gleichzeitig extrem geringe Schärfentiefe und ein ausgesprochen angenehmes cremiges Bokeh. Aber es hat knapp 3kg und kostet knapp 7000 Euro. Um in so etwas zu investieren braucht man gute Gründe und um es mit sich herumzuschleppen bräuchte man starke Schultern und Rückenmuskulatur.

Selbstverständlich gibt es auch für wenig Geld Vollformatlinsen mit schönem Bokeh – für das DX Nikkor 35mm ƒ1.8 (155 Euro bei Amazon) oder das Nikkor 50mm ƒ1.8 (149 Euro bei Amazon) kann ich das aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich kann aber ebenso aus eigener Erfahrung betätigen, dass mich die etwas geringere Schärfentiefe fotografisch nicht in irgendeiner weise einschränkt und ich nicht im mindesten den Eindruck habe, dass meine MFT-Aufnahmen schlechter wären, als meine Vollformatfotos. Nicht zuletzt, weil Bokeh nicht dasselbe ist, wie geringe Schärfentiefe. Und weil Schärfentiefe nur ein Faktor von vielen ist.

Nachtrag: Was in der Diskussion übrigens meist unter den Tisch fällt, ist, dass mehr Schärfentiefe nicht grundsätzlich nachteilig ist. Bei Makro und Gruppenaufnahmen unter Low-light-Bedingungen ist es ein Vorteil. Wenn diese beiden Themen in der eigenen fotografischen Arbeit eine wesentliche Rolle spielen, kann man sogar mit Fug und Recht behaupten, dass kleinere Sensoren in Sachen Schärfentiefe besser sind.

Antworten

  1. ich denke bei dieser Diskussion geht es meist um die Freistellung in der Portraitfotografie.
    Ich selbst werde häufig belächelt wenn ich bei einem Workshop mit der Oly auftauche.
    Ich habe kürzlich ein Homeshooting tatsächlich mit dem 25 f1,2 und alternativ mit einer EOS R mit dem 50 mm f1,2 durchgeführt.
    Es war dunkel und die Beleuchung erfolgte mit LED Licht.

    Die Olympus Kombi brachte tolle Bilder. Die EOS R auch, aber nutzbar war das objektiv auch erst ab proktisch F1,8 da sonst der Schärfeverlauf zu krass war.
    Im direkten Vergleich sind die Bilder der Olympus sogar schärfer.

    Auf der anderen Seite war ich gerade für 11 Tage auf einer Dienstreise in Asien und hatte die Oly mit 2 Objektiven mit dabei.

    Von daher kann man auch mit MFT tolle Bilder machen und ich habe gerne 2 Systeme.

    1. Tatsächlich porträtieren erfahrene Fotografen meist gar nicht mit Offenblende. Ich habe am Vollformat oft ƒ4 genutzt – und las von erfahrenden Fotografen die noch weit kleinere Blendenöffnungen bevorzugen. Blende ƒ2 und größer bei 100mm ist im Nahbereich in der Regel des Guten zu viel und nicht wirklich schön (einmal abgesehen davon, wenn man wirklich kein Auge mehr für irgendetwas anderes als Bokeh hat).

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