Über Fotografie

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6. Dezember 2011
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Steffen Böttchers Buch »Abenteuer Fotografie«, das ich gerade lese, ein Artikel auf knusperfarben.de, Diskussionen über Kunst und Fotografie und die generelle Frage nach meiner eigenen fotografischen Identität, lassen mich darüber nachdenken, was denn ein Fotograf eigentlich ist.

Qualität und Berufung

Auf kusperfarben.de werden Fotografen in Ebenen-Schubladen untergebracht. Ich muss gleich einmal sagen, dass ich den Artikel durchaus mit Wohlwollen gelesen habe. Ich mag differenzierte Meinungen und sie sind mir lieber als Ansichten die sich nach dem Wind richten und im Mainstream verlaufen. Ich respektiere das, auch wenn ich eine andere Ansicht dazu haben mag. In dem Artikel heißt es unter anderem, dass die Qualität (in Deutschland) darunter gelitten hat, dass Fotografie zum freien Gewerbe geworden ist.

Bei uns in Österreich ist Fotografie noch immer ein geschütztes Gewerbe (Anmerkung: 2013 fiel der Gewerbeschutz). Nur ein amtlich anerkannter Fotograf darf fotografische Leistungen verkaufen – ob er nun fotografieren kann oder nicht! Und hier, in unseren Landen, darf noch nicht einmal jeder, der als Fotograf anerkannt ist, Hochzeitsfotograf sein.

Ob das der Qualität hilft? Nach meinem Eindruck nicht. Ich kenne zu viele ausgezeichnete Fotografen, die Autodidakten sind, und habe schon zu viele Bilder von amtlich anerkannten Fotografen gesehen, die lausig waren. Es ist im Grunde wie auch im Grafikdesign.

Grafiker die ihren Beruf einfach als Job von ‘nine to five’ ausüben und sich ab 17:00 mit Sesamstraße, Häkeln, Briefmarken sammeln oder Lokal-Touren befassen, leisten in der Regel an guten Tagen Durchschnittliches. Gute Grafiker mit Layouts die dir die Augen und den Mund aufmachen und ein Boa! und Wow! entlocken, sind besessene Spinner. Leute die sich mit viel Leidenschaft für Gestaltung begeistern. Berufsgrafiker für die ihr Beruf Berufung ist.

Ich glaube das ist in jedem Bereich so. Ein Lehrer der ganz Lehrer ist und nicht nur vom Vormittag zum Nachmittag unterrichtet wird ein besserer Lehrer sein. Ein Koch der auch nach Feierabend noch mit Leidenschaft kocht wird wohl bessere Suppen servieren. Ein Berater der mit Leidenschaft berät wird der bessere Berater sein. Von Sportlern und Musikern wollen wir hier gar nicht anfangen.

Doch um eine Tätigkeit – egal ob fotografieren, gestalten oder kochen – mit Leidenschaft ausführen zu können braucht es keinen Gewerbeschein. Und auch anders herum: Mir wäre nicht bekannt, dass man für den Erwerb einer Gewerbeberechtigung Leidenschaft vorweisen müsste. In der Regel reicht es doch Ausbildungszeit abzusitzen und bei einer Prüfung durchzukommen.

Dass eine Gewerberegelung die Qualität verbessert kann ich nicht glauben. Ein Auftraggeber der seine Aufträge davon abhängig macht ob eine Gewerbeberechtigung vorhanden ist oder nicht, ob der Fotograf in einem Berufsverband ist oder nicht, kann sich wohl kaum beschweren sollten die Ergebnisse nicht das Gelbe vom Ei sein. Vielmehr sollte er sich Referenzen des Fotografen ansehen und entscheiden ob ihm Stil und Qualitätsanmutung zusagen. Das sehe ich fürs Grafikdesign genau so.

Aber wir wissen ja wo oft das Entscheidungskriterium hängt: Am Preis! Und wenn das auf Kosten der Qualität geht sollte es einen auch nicht wundern.

Anders gesagt: Es sollte am Ende die Qualität sein die entscheidet. Und die wird nicht durch Gewerbescheine bestätigt sondern allein durch Referenzen.

Von Förstern und Fischern

Als Grafikdesigner ärgert es mich besonders, dass ich in Österreich keine fotografischen Leistungen anbieten kann. Denn Grafikdesign ist kein geschütztes Gewerbe. So darf also der Fotograf grafische Leistungen verkaufen – ob er dazu fähig ist oder nicht –, aber ich Grafiker darf keine fotografischen Leistungen in Rechnung stellen – ob ich fotografieren kann oder nicht. Das heißt der Förster darf in meinem Teich fischen, aber wenn ich im Wald einen Bock schieße nennt ich das wildern (ok, die Böcke brauchen sich nicht zu fürchten: Ich bin Vegetarier).

Der Nabel der Welt

Profession und Berufung sind aber nur die eine Seite der Medaille, die mich nachdenklich stimmt und über die ich mich regelmäßig echauffieren kann. Die andere Seite ist die Wichtigkeit, mit der sich Kreative und Gestalter gerne nehmen. Man starrt sich voller Ehrfurcht auf den eigene Nabel und hält ihn für den Mittelpunkt der Welt. Damit meine ich nicht unbedingt Selbstverliebtheit in die eigene Arbeit – obwohl das bei besonders egozentrischen Subjekten durchaus der Fall ist – sondern viel mehr die Bedeutung, die man dem Bereich, in dem man tätig ist, beimisst.

Als erstes fallen mir dazu Architekten ein. Als außenstehender Beobachter habe ich den Eindruck diese Profession halte sich oft für den Architekten der Welt und der Gesellschaft, nicht nur von Gebäuden. Wer dann in ihren Werken leben und arbeiten muss und in der Praxis alltäglich gegen die Ecken und Kanten der genialen Entwürfe rennt und Kritik äußert ist nichts anderes als ein unverständiger Banause.

Grafiker sind da nicht anders. Grafikdesign wird nicht selten zum Allerwichtigsten. Botschaften, die man transportieren soll, und Produkte, die man verpacken, oder für die man werben soll, sind doch eher lästiges Beigemüse. Was zählt ist vor allem das ultimative Design.

Ebenso habe ich schon Kommentare von Werbern – auch Kreative – gehört und gelesen, die ihre Branche als Mittelpunkt des Marktes verstehen und behaupten, Werbung wäre der Motor der Wirtschaft.

Und auch Fotografen fallen in den Topf jener, die sich sehr wichtig nehmenden. Im Mittelpunkt steht vor allem die Genialität kreativer Einfälle und vielleicht die Qualität der handwerklichen Umsetzung.

So wichtig sind unsere Ergüsse, dass sich keiner darüber befremdet, dass grafische Werke und Fotografien für Millionen gehandelt werden, während Menschenleben nicht einmal einen Euro wert sind. Ganz im Gegenteil: Um ein paar Euro kann man locker einen Menschen opfern. Schließlich lässt sich die verdiente Kohle ja in Kunst investieren. Gut angelegtes Geld.

Entweder ist unsere Welt abartig, oder ich bin es, wenn ich das pervers finde und nicht nachvollziehen kann.

Boa. Jetzt kommt der auch noch mit der Moral-Keule, mag manch Leser jetzt denken. Aber der Blick auf das Ganze relativiert etwas die Bedeutung der Details. Eine zu starke Fokussierung auf einen bestimmten Bereich kann man auch als engstirnig bezeichnen. Scheuklappen haben noch nie zu einem objektiv weiten Horizont verholfen.

Die schönste Nebensache der Welt

Nein ich spreche jetzt nicht von Sex. Sex ist keine Nebensache. Für mich ist Gestaltung die schönste und wichtigste Nebensache der Welt. Ich liebe Gestaltung und manchmal kann mich ein perfekt geschwungener Bogen vor Begeisterung beinahe zu tränen rühren – ohne Scheiß jetzt!

Aber Gestaltung bleibt Nebensache.

Gestaltung ist inso fern von großer Bedeutung, dass sie unser Leben mit Schönheit und Ästhetik bereichern kann. Ästhetik ist ein wichtiges Gewürz für unsere Augen. Es ist quasi das Salz in unserer visuellen Suppe. Aber nicht das einzelne Salzkorn ist von Bedeutung, sondern Salz an sich. Man darf ein Salzkorn also nicht überbewerten. Satt würden wir auch ohne.

Oder ziehen wir eine Analogie zur Natur. Auch sie ist wichtig. Um vieles wichtiger als Gestaltung. Als Architektur. Als perfekt designte Werbung. Und als Fotografie. Aber auch sie ist vor allem als Ganzheit von Bedeutung. Eine blühende Blume, ein kraftvoller Hengst, eine schleichende Katze, Nebelfelder, herbstliche Wälder und fallende Blätter bereichern Momente unseres Lebens. Aber die Blume wird spätestens im Herbst verwelkt sein. Dann werden neue Blumen kommen und neue Augenblicke bereichern.

Genau so sehe ich Design, Architektur und Fotografie – auch wenn vielleicht nicht alles dieselbe Halbwertszeit hat. Beinahe alle Fotografien, so toll sie auch gemacht sein mögen, werden in einigen Jahren vergessen sein. Selbst die, über die man noch nach Jahrzehnten spricht, finden nur deshalb Beachtung, weil sie mit einem Fotografen verbunden sind, dessen Name zu Berühmtheit gelangt ist, oder weil sie einen historischen Moment zeigen.

Wir Menschen arbeiten hart daran uns vom Erdboden verschwinden zu lassen oder uns zumindest zurück in die Höhlen zu treiben. Es mag noch Jahrhunderte, Jahrtausende oder aber auch nur Jahrzehnte dauern. Danach wischt sich mit heutigen Kunstwerken bestenfalls der Höhlenmensch seinen Hintern.

Und wenn die Erde eines Tages ›paff‹ macht lösen sich auch monumentale Baukunstwerke in Sand, Partikel und Atome auf.

Extrem gezeichnet? Wie gesagt: Der Blick aufs Ganze relativiert die Bedeutung des Details. Das Weltall besteht seit Milliarden von Jahren. Die Erde seit ein paar Millionen (oder so). Der Mensch seit einigen Tausend. Alles, außer dem Menschen, wird nach uns wahrscheinlich noch ein paar Milliarden Jährchen halten. Vor diesen Relationen wird selbst die Mona Lisa zum Furz in der Unendlichkeit.

Fotos sind wichtig und von großer Bedeutung. Für den Moment. Für diesen und vielleicht noch viele in der Zukunft. Immer dann, wenn wir uns an ihnen erfreuen. Aber man sollte dem Foto und der Fotografie nicht zu viel Bedeutung beimessen. Man sollte das alles etwas lockerer und im passenden Maßstab sehen. Nicht so ernst.

Fotografen sind Dienstleute

Interessant finde ich, dass geistig und akustisch Kreative, ihre Bedeutung nicht ganz so zu überschätzen scheinen, wie visuell Kreative. Mir scheint, dass sich Musiker, zum Beispiel, bei weitem nicht so wichtig nehmen, wie Architekten. Dabei erreichen sie eine um ein Vielfaches größere Öffentlichkeit. Und ich will hier einmal ganz frech unterstellen, dass die Beatles mehr ‘impact’ auf unsere Gesellschaft hatten, als irgendein Architekt, Fotograf oder Grafikdesigner. Nun ja: John Lennon war vielleicht auch nicht ganz bescheiden, als er behauptete die Beatles wären größer als Jesus.

Kurt Weidemann sagte einst »Typografen sind Dienstleute«. Ich habe mich als Grafiker immer nach diesem Motto verstanden. Ich habe meine Arbeit nie besonders wichtig genommen. Das darf nicht falsch verstanden werden: Für mich gehört Gestaltung zu den wichtigsten Dingen in meinem Leben. Ohne Gestaltung fehlte mir nicht nur das Salz, sondern die ganze Suppe in der ich schwimme. Doch was für mich Essenziell ist muss nicht unbedingt das Zentrum des Weltalls sein.

Grafikdesign, und die Werbung, für die ich selbst viel gestalte, ist letzten Endes nur Beigemüse. Produkte verkaufen sich nicht vor allem wegen der Werbung und ihrer Gestaltung. Produkte verkaufen sich über Qualität, Quantität, Kundennutzen, Preis und Vertriebskanäle. Und, ob sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Werbung und Gestaltung kann bestenfalls Zünglein an der Waage sein. Ein bisschen Zusatzdrive, der es einem Produkt ermöglicht ein vergleichbares Konkurrenzprodukt zu überholen. Dieser kleine Vorteil kann oft entscheidend sein. Aber Werbung und Gestaltung sind eben nicht der Hauptgrund für den Erfolg eines Produkts.

Schon richtig. Mit ordentlich Werbemasse und massiver Präsenz kann ein Produkt auch auf dem Markt gepuscht werden. Aber dann ist es meist eher die Masse der Finanzmittel, die es anschiebt, und nicht die Kreativität und die Gestaltung der Werber.

Und was hat das mit Fotografie zu tun?

Es hat vor allem mit mir zu tun. Als gelernter und besessener Grafikdesigner kann ich aus keinem anderen Blickwinkel, als der Perspektive eines Grafikers, über Fotografie nachdenken und philosophieren. Auch Fotografen sind Dienstleute. Auftragsfotografen stehen im Dienst ihrer Auftraggeber.

Auch wer nicht beruflich fotografiert, steht im Dienst. Im Dienst der Betrachter seiner Bilder. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten. Schließlich fotografiert man ja nicht zuletzt auch dafür, die Resultate her zu zeigen.

Es ist natürlich auch nicht verwerflich zu sagen »Ich fotografiere nur für mich alleine. Was Andere davon halten ist mir Wurst.« Das ist zwar irgendwie Selbstbefriedigung (also durchaus mit Onanieren zu vergleichen und onanieren ist ja nichts ›Böses‹), aber durchaus legitim. Nur muss ich dann die Resultate nicht unbedingt zur Schau stellen und mich mit meiner eigenen Philosophie über die Werke anderer Fotografen her machen. Ersteres wäre dann ein bisschen wie Exhibitionismus, nach dem Motto: Ich habe hier zwar ein verschrumpeltes kleines Teil aber ihr schaut euch das jetzt gefälligst an, ob ihr wollt oder nicht.

Von Zen und Wabi Sabi

Ich selbst fotografiere vor allem aus Spaß an der Freude. Und weil ich diese Leidenschaft gut auch für meinen Lebensunterhalt nutzen kann. Wenn schon nicht als Auftragsfotograf (hier in unserer schönen Alpenrepublik), so zumindest für meine Bücher über Photoshop, Gestaltung und Fotografie. (Eigentlich lustig: Ich darf zwar keine Foto-Aufträge annehmen, aber ich darf Fotografie unterrichten.)

Mein Ziel ist immer auch, dass ich mit meinen Bildern auch einen Betrachter erreiche. Ich möchte, dass er das sieht, was ich gesehen habe. Dass er die Schönheit auch alltäglicher Dinge so sieht, wie ich sie im Moment wahrnehme. Ich möchte, dass ein Betrachter die Schönheit in einer Person erkennt, die nicht dem Mainstream visueller Medien entspricht und die nicht mit Farbe, Styling und Photoshop auf Perfektion getrimmt ist (womit ich jetzt wiederum keine Kritik an der Fashion & Beauty Fotografie üben will – auch sie kann mich begeistern).

Egal was ich fotografiere; für mich zählt dabei etwas, das ich als Wabi Sabi verstehe. Wabi Sabi ist eine japanische Philosophie, die die Schönheit im Alltäglichen, auch Gebrauchten, verehrt. Es geht davon aus, dass die Dinge erst mit der Zeit – wenn man ihnen den Gebrauch, ihre Geschichte, den Zahn der Zeit, ansieht – zu wahrer Schönheit erwachen.

Es ist so ungefähr das Gegenteil von unserem westlichen Wahn alles möglichst neu und unversehrt zu behalten. Ein Wahn, der viele einen Kratzer im iPhone oder im neuen Wagen empfinden lässt, als hätte man sie selbst tief ins Fleisch geschnitten . Ein Wahn, weswegen viele Leute die hässlichen Folienüberzüge, mit denen ihre elektronischen Gadgets geliefert werden, auf den glatten Flächen lassen. Auch wenn das tausendmal hässlicher aussieht, als ein natürlicher Kratzer.

Mir geht es darum die Dinge so zu fotografieren, wie sie sind, oder besser gesagt, so, wie ich sie sehe. Ohne sie maßgeblich zu manipulieren. Egal ob Menschen, Tiere, Dinge, Landschaften oder was auch immer. Auch ich greife natürlich gelegentlich ein und schiebe ein Blatt zur Seite um eine bessere Perspektive auf eine Blüte zu erhalten. Ich retuschiere auch Stromleitungen aus Landschaftsaufnahmen. Ich sage zu Modellen auch, nimm doch die Hand einmal dahin und richte die Augen dorthin.

Am Ende bin ich aber vor allem Beobachter, der in der Tätigkeit des Fotografierens versinken kann. Auch wenn ich dabei nicht mehr daran denke, ist dann vor allem der Weg das Ziel. Es ist wohl ein bisschen wie Zen. Wir können es auch westlicher als ›Flow‹ bezeichnen.

Den Spaß ernst nehmen, aber nicht für zu wichtig

Und dabei bin ich dann dabei angekommen, was Fotografie für mich ist: Eine Tätigkeit, die den Fotografen erfüllen, eventuellen Modellen Freude (und im professionellen Bereich auch Geld) bringen und dem Betrachter etwas geben soll. Das ist ungeheuer wichtig und ich nehme das ernst! Doch die Fotografie im übergeordneten Kontext und das einzelne Foto im untergeordneten, sollte man nicht zu ernst nehmen. Es ist wie mit der schönsten Blüte des Sommers: Spätestens im Herbst wird sie wieder verblüht sein.

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