Sehen wir uns die Erkenntnisse des letzten Artikels in der Praxis an: Die aus gewählter Brennweite und Distanz resultierende Schärfentiefe wird durch die Wahl der Blende angepasst beziehungsweise korrigiert. Möchte ich das eigentliche Hauptmotiv vor dem Hintergrund hervorheben führt eine geringe Abblendung (offene Blende) zu kurzer Schärfentiefe und weichgezeichnetem Hintergrund. Möchte ich sowohl den Vordergrund als auch den Hintergrund deutlich erkennbar abbilden, dann führt kräftige Abblendung (Blende schließen) zu großer Schärfentiefe und detailreicher Wiedergabe sowohl naher als auch ferner Elemente. Nach der kreativen Kernfrage über die gewünschte Perspektive folgt die kreative Kernfrage über die Schärfe.
Der Vergleich der beiden folgenden Abbildungen verdeutlich noch einmal den Unterschied in der Bildwirkung ob die Blende offen ist oder geschlossen.
Die drei Stofftierchen sind hier bei Brennweite 28 mm und offener Blende ƒ2.0 fotografiert worden. Die Schärfentiefe ist kurz (kleine Blendenzahl = kurze Schärfentiefe). | |
Ebenfalls mit Brennweite 28mm aus derselben Distanz, jedoch mit Blende ƒ8.0. Die Schärfentiefe ist weit. |
Noch einmal zur Erinnerung: Die Schärfentiefe resultiert nicht aus der Blendeneinstellung allein! Brennweite (siehe ›Schärfentiefe und Brennweite‹), Abstand (siehe ›Schärfentiefe und Distanz‹) und Sensorformat (siehe ›Sensorformat und Schärfentiefe‹) haben einen ebenso bedeutenden Einfluss wie die Blende.
Aber:
- Die Distanz zum Motiv wird primär durch die Größe der abzubildenden Objekte bestimmt. Die Überlegung, welche Auswirkung eine bestimmte Distanz auf die Schärfentiefe der Aufnahme hat, spielt bei der Aufnahme keine Rolle. Oder anders gesagt: Kein Fotograf wird eine bestimmte Distanz wählen, nur weil er sich davon eine bestimmte Schärfentiefe erwartet.
- Die Brennweite wird normalerweise ebenso wenig wegen ihrer Auswirkung auf die Schärfentiefe gewählt. Meist ist sie entweder Resultat aus einer langen Distanz, die der Fotograf nur mit Hilfe eines Teleobjektivs überwinden kann, einer kurzen Distanz, die eine Abbildung nur mit Weitwinkel erlaubt (zum Beispiel wenn man eine Fassade in einer engen Gasse fotografieren möchte), oder aber der Fotograf möchte mit der Brennweite eine bestimmte perspektivische Wirkung erzielen.
- Das Sensorformat ist Resultat der Kaufentscheidung des Fotografen. Die wenigsten Fotografen nehmen drei, vier oder fünf Kameras mit unterschiedlichen Sensorformaten mit auf den Weg, um damit unterschiedliche Schärfentiefewirkungen erzielen zu können.
Deshalb bleibt als wichtigstes Werkzeug zur Steuerung der Schärfentiefe die Blende übrig.
Aber: Kompaktkamera | Da Kompaktkameras, wie bereits mehrfach in dieser Serie erwähnt, in der Regel sehr viel kleinere Sensoren haben, als Spiegelreflexkameras, erzeugen sie damit automatisch eine sehr viel höhere Schärfentiefe, als ihre größeren Brüder und Schwestern. Der Einfluss der Blende auf die Schärfentiefe ist bei diesen Kameras lediglich bei Aufnahmen aus nächster Nähe wirklich relevant (also bei Makro-Aufnahmen). Bei Canons Edel-Kompakten G12 beträgt die Schärfentiefe bereits bei einem Abstand von zwei Metern, 50mm Brennweite und Blende ƒ2.8 einen knappen Meter. Selbst wenn sich ein hässlicher oder nichtssagender Hintergrund fünf Meter hinter einer porträtierten Person befindet, erfolgt dessen Abbildung scharf genug um die Wirkung des Bildes zu zerstören. Zum Vergleich: Bei einer Kleinbildkamera beträgt die Schärfentiefe auf dieselbe Distanz, mit derselben Brennweite und derselben Blendeneinstellung 14cm. Alles was sich einen Meter oder mehr dahinter befindet wird schon dermaßen weichgezeichnet, dass es kaum mehr zu erkennen ist. Eine porträtierte Person ist dadurch deutlich vom Hintergrund freigestellt.
Das ist der Irrtum vieler Fotografen, die sich für eine Kompaktkamera mit kreativen Einstellmöglichkeiten entscheiden. Sie erwarten mit Einstellmöglichkeiten für Zeitvorwahl, Blendenvorwahl und manueller Belichtungseinstellung ähnliche Ergebnisse erzielen zu können, wie an einer SLR. Doch solange die Bildsensoren so klein bleiben wie sie derzeit bei kompakten sind, ist der nutzen dieser kreativen Modi bei einer Kompakten fast zu vernachlässigen.
Die meisten ambitionierten SLR-Fotografen fotografieren im Belichtungsprogramm Blendenvorwahl, weil sie durch bewusste Auswahl der Blende die Schärfentiefe kreativ gestalten können. Sie lassen die Blende für kurze Schärfentiefe offen oder schließen sie für weite Schärfentiefe. Bei einer Kompakten bringt das meist wenig.
Das soll die Leistung moderner Kompakter nicht schmälern. Aber wer die Anschaffung einer Kamera plant sollte sich auch solcher Grenzen bewusst sein und wer eine Kompakte besitzt sollte die Einschränkungen noch vielmehr kennen.
Der Besitzer einer Kompaktkamera kann die Brennweite nicht frei wählen, wenn er ein Motiv durch kurze Schärfentiefe freistellen will. Eine akzeptable Freistellung erreicht er nur mit einer langen Brennweite – 100mm, 150mm oder mehr. Während der Spiegelreflex-Fotograf dem 4-Schritte-Konzept folgen kann, Distanz und Brennweite wählt und dann die Schärfentiefe über die Blendeneinstellung großzügig beeinflussen kann, muss der Kompaktkamera-Fotograf die Brennweite für die kreative Gestaltung der Schärfentiefe heranziehen. Sehr oft heißt es dann entweder Wunsch-Perspektive oder Wunsch-Schärfentiefe.
Wenn ich also eben behauptet habe, dass die Schärfentiefe vom Fotografen praktisch ausschließlich mit Hilfe der Blende gestaltet wird, gilt das in erster Linie für Fotografen mit Spiegelreflexkameras und Kameras mit vergleichbar großen Bildsensoren. Der Fotograf mit einer Kompaktkamera hingegen wird sehr wohl gelegentlich die Brennweite nutzen, um die Schärfentiefe kreativ zu beeinflussen. So wähle ich beim Porträt einer Person mit einer Kompakten ganz bewusst eine lange Brennweite (oft eine deutlich längere, als ich mit Spiegelreflex nutzen würde), damit ein allfällig unruhiger Hintergrund zumindest einigermaßen unscharf und das eigentliche Modell somit freigestellt wird.
Aufnahme mit der Kompaktkamera Canon PowerShot G12 bei 140mm Brennweite (KB). Die lange Brennweite sorgt hier für den unscharfen Hintergrund und eine sachliche, flache Darstellung der Münzen. | |
Derselbe Münzstapel aus kürzester Distanz (wenige Zentimeter). Die perspektivische Wirkung ist komplett anders wie oben. Der unscharfe Hintergrund entsteht hier vor allem durch die extrem kurze Distanz. |
Perspektive und Schärfentiefe machen auch aus alltäglichen Dingen durchaus interessante Objekte. |
Der Inhalt dieser Online-Fotoschule ist in erweiterter Form auch als Buch erhältlich: »Die kreative Fotoschule – Fotografieren lernen mit Markus Wäger« Rheinwerk-Verlag 2015, 437 Seiten, gebunden, komplett in Farbe ISBN 978-3-8362-3465-8 Buch: 29,90; E-Book: 24,90 Weitere Informationen und Demokapitel auf der Website des Verlags; Affilate-Link zum Buch bei Amazon. |
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