1.6. Brennweiten, Fluchtpunkte und Bilddynamik

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4. Februar 2011
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10 Kommentare

Fotoschule onLine - Kreative Digitalfotografie verständlich erklärt

Wir haben uns Eingangs zu diesem Kapitel über die Grundlagen der Perspektive unterhalten. Ich habe dabei skizziert, wie sich die perspektivische Wirkung eines Motivs verändert, wenn die Position zu ihm verändert wird. Ob man ein Objekt aus der Frontalansicht oder einer diagonalen Ansicht ablichtet hat Auswirkungen auf die Bildwirkung und führt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das Eine rührt zu eher statischen Ergebnissen, das Andere wirkt eher spannender und dynamischer.

Position und Brennweite sind die beiden Parameter, mit denen sich die perspektivische Wirkung von Aufnahmen gestalten lässt. Durch die Distanz zum Hauptdarsteller des Motivs und die Wahl der Brennweite wird aktiv beeinflusst wie die Betrachter eine Aufnahme empfinden werden.

Werfen wir nun einen Blick auf den grundsätzlichen Unterschied in der perspektivischen Wirkung der wichtigsten Objektiv­arten – Weitwinkel-, Normal- und Teleobjektiv.

Normalobjektiv

Die Abbildung unten soll die Wirkung eines Normalobjektivs mit einer Brennweite von 50mm illustrieren. Ich habe die Perspektive in dieser und den folgenden Illustrationen etwas übertrieben zur Darstellung gebracht, um die Unterschiede in den Charakteristiken zu betonen.

Perspektive normal Normalperspektive: Perspektivische ­Wirkung, Fluchten und Proportionen fallen in der Regel deutlich aber nicht übertrieben aus).

Spricht jemand von Normalobjektiv, dann ist in der Regel von 50mm Brennweite die Rede. Auch wenn von Standardobjektiv die Rede ist, ist oft 50mm gemeint. Wie schon früher angedeutet, ist der Blickwinkel dieser Brennweite sehr nah an der Wahrnehmung des Menschen. Somit ist so ein Objektiv für alle möglichen Einsatzzwecke gut geeignet und vor allem wenn es darum geht, einen natürlichen und authentischen Eindruck zu vermitteln.

Die Normalbrennweite erzeugt eine natürliche, authentische Perspektive.

Normalobjektiv und Porträt | Mit Vorsicht zu genießen ist das Normalobjektiv bei Gesichtsporträts. Man sollte Gesichtern damit beim Porträtieren nicht zu nahe kommen, denn sie neigen dazu die Gesichtsproportionen zu verzerren.

portrait-gesicht-50mm.jpg Nahaufnahmen von Gesichtern mit 50mm Brennweite – wie hier – fallen oft wenig schmeichelhaft aus.

Portaitfotografen verwenden in der Regel Brenn­weiten zwischen 80mm und 120mm, die Gesichtszüge harmonischer abbilden können. Ein paar Beispiele die die Wirkung von Brennweiten auf Gesichtszüge demonstrieren habe ich bereits unter ›People- und Porträtfotografie‹ im Artikel ›Fotografische Genres und die geeignete Kamera‹ gezeigt.

Anders sieht es aus wenn man mit dem 50mm beim Porträt dem Modell nicht zu sehr auf den Pelz rückt. Bei einem Porträt ab Brust, Bauch oder Oberschenkeln kommt es zu keinen unschönen Verzerrungen der Gesichtszüge.

portrait-oberkoerper-50mm.jpg Dieses Porträt stammt ebenfalls von einem 50mm Objektiv. Da die Distanz hier größer ist, wird die Perspektive und damit die Physiognomie des Gesichts weniger verzerrt.

Die beiden vorangegangenen Abbildung sind mit der Kompaktkamera S95 entstanden. Für Porträts aufgrund der hohen Schärfentiefe kein optimales Gerät. Dass die 50mm-Brennweite für Gesichtsporträts nicht optimal, für Oberkörperporträts jedoch gut geeignet ist, zeigen die beiden Fotos aber allemal.

Weitwinkel

Im Vergleich zur Brennweite eines Normalobjektivs erzeugt ein Weitwinkel eine Perspektive, in der die Fluchtpunkte deutlich näher am Objekt liegen. Es entstehen deutlich stärker geneigte und dadurch ­dynamischere Linien.

Perspektive weitwinkel Beim Weitwinkelobjektiv rücken die Fluchtpunkte näher zusammen. Das führt zu ausgeprägt fliehenden Linien – vor allem auf kurze und mittlere Distanz.

Der Nachteil: Auf manche Motive – wie Gesichter – kann das verheerende Auswirkungen haben. Das kennen wir schon ein bisschen vom Normalobjektiv. Beim Weitwinkel fällt der Effekt allerdings bei Weitem extremer aus. Je kürzer die Brennweite, desto extremer zu Verzerrung.

Weitweinkelverzerrung 21mm Brennweite aus kürzester Distanz. So etwas halten auch die edelsten Gesichtsproportionen nicht aus. Die Gefahr für verunstaltete Menschen ist extrem groß. Bei solchen Ergebnissen ist es kein Wunder, dass manche Leute die Kamera scheuen wie der Teufel das Weihwasser!

Während beim Normalobjektiv und bei Brennweiten um die 50mm Porträts noch immer gelingen, wenn man Oberkörper oder Beine mit in den Bildausschnitt nimmt, ist das Weitwinkel generell gefährlich für menschliche Proportionen. Nicht nur bei Nahaufnahmen kommt es zu deutlichen Verzerrungen, sondern ebenso in den Randbereichen auf etwas größere Distanz.

Andreaweitwinkel Meine zweifellos bessere Hälfte, hier schonungslos vom Weitwinkel gequetscht, gezogen und deformiert.

Doch auch wenn Weitwinkel mit Sicherheit die anspruchsvollste Brennweite ist – vor Allem wenn wir den Dingen nahe kommen –, so übt es in meinen Augen auch den größten Reiz aus. Vor allem für beeindruckende Landschafts- und Architekturaufnahmen gehören Weitwinkel zur Pflicht.

Weitwinkel Landschaft
Eine ziemlich klassische Weitwinkelaufnahme.
Weitwinkelverzerrt
Kritisch wird es wie bereits weiter oben beschrieben, wenn Menschen das Weitwinkel kreuzen. Dieses Bild ist nicht digital verzerrt worden, sondern die Deformation der Protagonisten ist rein auf das Weitwinkel zurück zu führen.

Allerdings schließt das nicht aus, dass Weitwinkel für das Ablichten völlig ungeeignet ist. Richtig eingesetzt lassen sich damit witzige, freche und überraschende Porträts gestalten.

Amelie Eines meiner liebsten Beispiele eines Porträts mit Weitwinkel: ›Die Fabelhafte Welt der Amelie‹. Ohne wäre Audrea Tautous kecker Blick hier nur halb so frech.
weitwinkelportrait.jpg
Auch der Blick mit Weitwinkel von oben hinab eröffnet eine witzige Perspektive für ein Porträt, hier, passend zum öden Treppenhaus, betont kühl entwickelt.
Grossehaende
Typisch Weitwinkel: Was nah ist wirkt ganz nah und riesig groß. Schon dicht dahinter wirken die Dinge viel kleiner.
Grossefuesse Und noch einmal Weitwinkel: Hier mit riesigen Schuhen und endlos langen Beinen.

Die Eigenschaft von Weitwinkel die Dinge von Nah bis Fern in die Länge zu ziehen wird auch gerne von Fashion- und Beauty-Fotografen genutzt, um den Models Beine zu machen. Fotografiert man Menschen aus kürzerer Distanz mit Weitwinkel aus einer tiefen Perspektive scheinen die Beine länger als sie sind (über das, was den Models in der digitalen Dunkelkammer an Schönheitsoperationen widerfährt bewahren wir Schweigen).

Denise weitwinkel 36mm + kurze Distanz + tiefe Perspektive = lange Beine.

Wer mit Weitwinkel fotografiert und nicht gerade eine Landschaft als Motiv gewählt hat, muss in der Regel nahe an sein Motiv ran. Betrachter des Resultats spüren das. Weitwinkelaufnahmen vermitteln das Gefühlt mitten im Geschehen zu stecken und die Protagonisten fast schon greifen zu können. Deshalb sind sie auch sehr beleibt bei Reise- und Reportagefotografen. Während Normalobjektive eher noch zur trockenen, sachlichen Authentizität neigen, erzeugen Weitwinkel schon vom Grundcharakter her mehr Spannung und Leben.

Weitwinkelobjektive ­können Nähe vermitteln und dramatische Perspektiven erzeugen.

Mitten drin
Man spürt die Nähe von Kamera zum Motiv: Hier 28mm Weitwinkel mit der Kompaktkamera PowerShot G12.

Teleobjektiv

Je weiter man in den Bereich der Telebrennweite vorrückt, desto weiter rücken die Fluchtpunkte auseinander und desto mehr nähern sich die horizontalen und vertikalen Linien auch in der Abbildung der Horizontalen und Vertikalen.

Perspektive tele Bei der Tele-Perspektive rücken die Fluchtpunkte weit auseinander. Die Resultate wirken flacher und sachlicher.

Zwar klingt es im ersten Moment verlockend die Dinge so horizontal und vertikal abbilden zu können, wie sie in der Realität sind. Doch den Resultaten einer solchen Wiedergabe fehlt oft Tiefe und Dynamik. Aufnahmen mit Teleobjektiv wirken oft flach, sachlich und trocken. Während Weitwinkel-Bilder Nähe vermitteln und Normalobjektiv-Bilder eine natürliche Bildwirkung erzeugen, vermitteln Teleobjektive den Eindruck der Distanz.

Distanz Die Distanz, aus der Aufnahmen mit Teleobjektiven entstehen, ist auch für den Betrachter eines Fotos spürbar.

Wir Menschen sind Seh-Wesen und nehmen 80% unserer Umwelt über das Sehen wahr. Auch wenn wir nicht von Geburt an dazu in der Lage sind Fotos zu interpretieren und zu analysieren, ob sie mit Weitwinkel-, Normal- oder Teleobjektiv aufgenommen wurden. Intuitiv spürt jeder von uns von Natur aus, ob ein Bild aus kurzer, mittlerer oder weiter Distanz aufgenommen wurde. Gerade wenn man mit Weitwinkel Menschen aufnimmt, vermitteln die Aufnahmen oft eine gewisse Ungestörtheit und Intimität aber gerade deswegen eben auch ein bisschen etwas Voyeuristisches.

Teleobjektive erzeugen sachlich distanzierte ­Anmutung.

Auch wenn der rein bildgestalterische Wert langer Telebrennweiten nicht an leichte Teles (für Porträts), Normalobjektiven (Allround) und Weitwinkeln (Landschaft, Reise, Reportage, Action) herankommt, soll das ihre Bedeutung nicht herabwürdigen. Überall dort, wo entfernte Motive abzulichten möchte, denen man sich nicht ohne Weiteres annähern kann, sind sie wichtig. Ob es um scheue oder wilde Tiere geht, oder um Sportler auf Straßen und Feldern. Wo das Hingehen unmöglich ist ist das Tele unverzichtbar!

Murmelbaer Murmeltiere sind nicht überall in den Alpen völlig scheu. Aber auch wenn Sie sich nicht gleich beim entfernten Auftauchen eines Menschen unsichtbar machen – nah ran und mit Weitwinkel fotografieren erlauben sie meist nicht. Scheue Tiere schießt man nur mit Tele.
perspektive-weitwinkel-stern.jpg perspektive-tele-stern.jpg
Diese beiden Aufnahmen ein und desselben Holzsterns stellen noch einmal die beiden Extreme Weitwinkel und Tele gegenüber. Das linke Bild habe ich aus sehr kurzer Distanz mit 28mm Weitwinkel aufgenommen. Das rechte entstand aus deutlich größerer Entfernung mit 100mm Tele (beides mit dem Zoomobjektiv der Canon PowerShot G12). Während der Stern in der Weitwinkeloptik sehr nah wirkt und extrem fliehende Linien nach hinten zeigt, vermittelt die Tele-Aufnahme den Eindruck deutlich größerer Distanz und die nach hinten fliehenden Linien scheinen schon fast parallel zu verlafen.
Perspektive stark Perspektive schwach Perspaktive keine
Dieses Denkmal steht auf einem Sockel mit einer Höhe von etwa 1,70 Meter. Die linke Aufnahme entstand aus einem tiefen Blickwinkel bei 27mm (KB). Der Soldat richtet sich dramatisch und bedrohlich vor dem Betrachter auf. Bei 105mm (KB; Mitte) und wesentliche größerer Distanz fällt der Blickwinkel naturgemäß ziemlich flach aus. Während man beim Linken Bild die Statur der Statue deutlich zum Himmel hin fliehen sieht, was der Aufnahme die Dramatik verleiht, ist hier von Flucht und Perspektive kaum mehr etwas zu spüren. Bei 300mm Brennweite (rechts) aus großer Distanz ist jegliche Bedrohung aus der Aufnahme gewichen. Der Soldat wirkt in sich gekehrt und geknickt. Er scheint uns, den Betrachter, gar nicht zu bemerken. Wir beobachten ihn aus der Distanz.
Der Inhalt dieser Online-Fotoschule ist in erweiterter Form auch als Buch erhältlich:
»Die kreative Fotoschule – Fotografieren lernen mit Markus Wäger«
Rheinwerk-Verlag 2015, 437 Seiten, gebunden, komplett in Farbe
ISBN 978-3-8362-3465-8
Buch: 29,90; E-Book: 24,90
Weitere Informationen und Demokapitel auf der Website des Verlags;
Affilate-Link zum Buch bei Amazon.

Antworten

  1. Danke für die Diskussion und den Versuch das zu klären.

  2. Wir scheinen uns jetzt in einem Punkt einig zu sein: das Ändern der Brennweite ändert die Perspektive nicht.

    Dass die Distanz die Perspektive ändert, können Sie aber leicht Testen. Einfach einige Schritte zurück machen. Eigentlich reicht es schon, den Kopf 30cm vor- und zurück zu bewegen 😉

    1. Du kannst gerne bei deinem Glauben bleiben. Für alle die hier mitlesen, die genauen Zusammenhänge noch nicht kennen und sich fragen was nun richtig ist: Einfach hier nachlesen – http://www.markuswaeger.com/2011/02/11/kreativ-fotografieren_brennweite-und-bildausschnitt/ – und am besten selbst ausprobieren. The proof of the pudding is in the eating.

      1. Es geht mir eben darum falschen Glauben abzulegen. Sonst würde ich ja nicht fragen, oder diskutieren.

        Wenn ich mich nach hinten lehne, sehe ich mehr von den Dingen hinter meiner Teetasse, wenn ich mich nach vorne lehne weniger. Das ist ein Ändern der Perspektive.

        Wenn ich den Blickwinkel erweitere (Weitwinkel) oder verenge („Tele“) ändert sich nichts an dem, was ich hinter der Teetasse sehe.

      2. Ich schlage vor du probierst das mal mit einer Kamera und einem Objektiv in der Hand aus statt mit philosophischen Spielen mit Teetassen im Kopf. Ich braucht das nicht zu diskutieren, ich wende das permanent praktisch an und habe es schon mit Dutzenden Kursteilnehmern praktisch ausprobiert.

  3. Ich verstehe den Text so, dass die Brennweite eine Auswirkung auf die Perpektive hat. Meinem Wissen nach ist das falsch. Nur der Abstand zum Objekt beeinflusst die Perspektive.

    1. Die Distanz alleine ändert ebensowenig an der Perspektive wie die Brennweite. Es ist immer beides in Kombination. Deshalb schreibe ich auch: »Position und Brennweite sind die beiden Parameter, mit denen sich die perspektivische Wirkung von Aufnahmen gestalten lässt. Durch die Distanz zum Hauptdarsteller des Motivs und die Wahl der Brennweite wird aktiv beeinflusst wie die Betrachter eine Aufnahme empfinden werden.« Das Gestaltungsmittel ist aber primär die Brennweite und die Distanz wird dann so angepasst, dass bei der gewählten Brennweite der Bildausschnitt den Gestaltungsvorstellungen entspricht.

      1. Vielen Dank für die Antwort.

        Wie gesagt, meines Wissens verändert sich mit der Brennweite nur der Winkel und damit der auf dem Bild sichtbare Ausschnitt des Abgebildeten, während alleine die Distanz die Perspektive ändert.

      2. Schon einmal ausprobiert? Die Aussage ist falsch! Das Ändern der Distanz alleine sorgt nur für einen kleineren bzw. weiteren Bildausschnitt. Dasselbe gilt im Übrigen für die Brennweite: Auch bei ihr ändert das Drehen am Zoom allein nichts an der Perspektive. Einfach einmal ein Haus in einer diagonalen Ansicht mit WW (z.B. 24mm) aus geringer Distanz und mit Tele (z.B. 100mm) aus großer Distanz aufnehmen, wobei das Gebäude in beiden Aufnahmen etwa denselben, knapp formatfüllenden Platz einnimmt.

  4. Vielen Dank für den informativen Kurs bis hierher. Mit dem „Soldat“ ist ein wirklich frappierender Vergleich der unterschiedlichen Brennweiten gelungen; bitte weiter so.
    Freundliche Grüße aus dem Schwarzwald
    Bernhard

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