Über Retro-Fotografie und Retro-Design

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3. Mai 2014
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2 Kommentare

Retro gehörte in den letzten Jahren zu den umstrittenen Schlagwörtern der Fotografie. Es gibt jene, die Retro-Design als willkommene Alternative zum funktionalen Ergonomie-Design betrachten, das sie Teils als kühl und emotionslos empfinden. Jene, für die retro ganz offensichtlich die Sehnsucht nach einer enttechnisierten und entschleunigten Fotografie spiegelt. Und jene, die retro als reinen Marketingtrend ablehnen.

Retro-Fotografie | Ich muss gestehen, dass ich nicht ganz verstehe weshalb die Arbeit mit einer Nikon Df, Fuji X-T1 oder Olympus OM-D anders oder mehr retro sein soll als mit einer Nikon D800 oder einer Canon EOS 5D Mark III. Man arbeitet mit den retro-designten Modellen mit AF, Belichtungsmessung und ISO-Einstellungen. Und man arbeitet mit zeitgemäß und ergonomisch gestalteten Modellen mit AF, Belichtungsmessung und ISO-Einstellung. Nur weil Rädchen auf alt gestaltet und mit Skalen und Zahlen bedruckt sind ist eine Digitalkamera keine mechanische Analogkamera. Retro-Design ist eine reine Gestaltungsangelegenheit die nichts an der Art ändert, wie man mit einer Digitalkamera fotografiert.

Analog fotografieren ist anders als digital. Wer die Empfindlichkeit ändern will muss den Film wechseln. Fokussiert wurde früher manuell und die Belichtung wurde nach Merksätzen wie »Sonne lacht, Blende 8« geraten – zumindest sofern man kein Belichtungsmessgerät zur Hand hatte. Damals war man ein cooler Hund wenn man als Hobbyfotograf einen Belichtungsmesser hatte. Heute hat jedes Telefon einen Belichtungsmesser eingebaut – und die Retro-Kameras ebenso.

Wer retro fotografieren will kann das im Grunde mit fast jeder Kamera, außer mit einfachen Kompaktkameras. Die meisten lassen sich manuell fokussieren und Blende und Zeit lässt sich ebenso manuell einstellen. Eine Kamera braucht kein Retro-Design um ein bisschen retro-mäßig zu fotografieren.

Klar, an den guten alten Kameras erfolgte die Blendeneinstellung über einen Ring am Objektiv. Aber 1. ist zum Beispiel die Nikon Df so retro nun auch wieder nicht, denn die Blende muss bei ihr zwangsläufig bei den meisten Objektiven an der Kamera eingestellt werden, weil es keine aktuellen Nikon-Linsen mit Blendenring gibt; 2. kann man von Panasonic und Voightländer (und ich glaub auch von Fuji) Objektive mit Blendenring kaufen, die aber nicht unbedingt retro gestaltet sein müssen; und 3. kämpf ich schon gelegentlich mit den zwei Ringen (Zoom und Fokus) an meinen Objektiven und erwische gelegentlich den falschen. Ich bin also eigentlich ganz froh, dass ich die Blende über ein Rädchen an der Kamera einstellen kann.

Wenn es jemandem bei retro darum geht bewusster zu fotografieren, dann fängt das im Kopf an und geht über die Handhabung, nicht über das Design der Digitalkamera. Manuell belichten und fokussieren hat durchaus seine Momente und ich mache das häufig, ganz Wurst welche Kamera ich gerade in der Hand habe.

Retro-Design | Wie ich nicht verstehe, weshalb jemand erwartet eine retro-designte Kamera würde ihn zu bewussterer Fotografie führen oder ihn eher so fotografieren lassen wie anno dazumal, verstehe ich auch nicht, was manche Fotografen gegen Retro-Kameras haben. Für manche scheint es so eine Art rotes Tuch zu sein dem mit entschiedener Ablehnung entgegen getreten werden muss.

Die Bedienung einer auf retro getrimmten Kamera erzwingt zwar kein bewussteres Fotografieren, doch es behindert den Anwender auch nicht effizient zu fotografieren. Jedenfalls kann ich das für meine OM-Ds behaupten. Der kleine Handling-Nachteil den die OM-Ds gegenüber einer D610 oder D7100 tatsächlich haben liegt am kompakten Volumen, nicht am Retro-Design (dafür vermitteln die kleinen Objektive und Gehäuse eine Leichtigkeit des Fotografierens über die ich ein andermal noch berichten möchte).

Aus welchem Grund sollten alle Kameras gleich designt sein? Müssen wirklich alle aussehen wie eine 5D, D800, A77 oder K-3? Sony hat immer wieder, unter anderem mit den NEX-Kameras, gezeigt, dass Design auch moderner aussehen kann. Lytro zeigt mit der Illum, dass es noch moderner geht. Doch auch gegen die Rückbesinnung auf Designs vergangener Zeiten und deren Zitat spricht nichts. Die Renaissance hat sich ebenso wie der Klassizismus auf die Antike berufen – retro ist nichts Neues!

Dabei gibt es verschiedene Retro-Ansätze, zu denen Leica in meinen Augen nicht gehört. Das Leica-Design ist klassisch. Was Leica heute verkauft ist keine Rückbesinnung auf vergangene Tage sondern die konsequente Weiterentwicklung der Leica-Philosophie. Das ist wie mit Porsche oder Rolls Royce. Im Porsche 911 von 2014 ist noch immer der 911er der 1950er Jahre zu erkennen und doch ist das Design eines neuen Porsches topmodern.

Olympus’ Retro-Design ist eine klare Rückbesinung. Eine digitale Pen oder OM ist keine Fortsetzung der Originale, sondern eine Wiederaufnahme. Olympus hat dabei das Design von damals nicht einfach 1:1 kopiert und elektronische Bauteile in analoge Gehäuse gepflanzt, sondern die Formensprache von damals aufgenommen und neu interpretiert. Die OM-D adaptiert die alte Formensprache und interpretiert sie neu. Das ist gutes Design, auch wenn es Designklassikern wie der Leica M natürlich nicht das Wasser reichen kann. Aber wer kann das schon? Das Design der M ist ein Design-Monument, so wie das des 911er. Die OM-D ist eher wie der Mini. Auch der Mini ist eine gelungene Neuinterpretation des klassischen Mini-Designs (was den Designern des New Beetle nicht gelungen ist).

Fuji ist das Kunststück gelungen den Look klassischen Kameradesigns in die 2010er Jahre zu transportieren ohne es formal großartig neu zu interpretieren, so wie Olympus es tat. Trotzdem, dass Fuji die Technik des 21. Jahrhunderts in Gehäuse der 1960er und 70er Jahre steckt, wirkt das ganze Stimmig und Konsistent. Ein Kunststück das Nikon nicht gelungen ist.

Was Nikon falsch gemacht hat ist zu versuchen eine D4 in ein zu analoges Gehäuse zu stecken. Fuji hat es verstanden die Formensprache von damals an die Bedürfnisse von heute anzugleichen, Nikon hat versucht die Bedürfnisse von heute mit dem Design von damals zu erfüllen – das geht nicht. Eine Digitalkamera ist keine Analogkamera. Selbst wenn ich die funktionalen Eier die Nikon damit gelegt hat einmal außer acht lasse, sind die Proportionen der Kamera schlicht unglücklich und der Mix aus Bauteilen die 1:1 einem Lager der 70er Jahre zu entstammen scheinen mit Plastikbauteilen der aktuellsten Modelle zu mischen ist aus Design-Perspektive ein absolutes No-Go. Das ist wie eine Sat-Schüssel und Plastikfenster am Renaisance-Schlösschen.

Was Nikon mit der Df gemacht hat, ist, als wenn Porsche die Karosserie des 911er der 1950er Jahre wieder aufleben ließe, allerdings mit Breitreifen, Alufelgen, Servolenkung und Schalensitz. Für die MX1 von Pentax gilt im Übrigen dasselbe.

Natürlich bleibt es niemandem benommen die Df oder die MX1 zu mögen. Auch der Fiat Multipla hat seine Freunde gefunden. Das ist wie mit Fotos. Was jedem einzelnen Subjektiv gefällt ist Jedermanns und -fraus persönliche Angelegenheit und niemandem steht es zu darüber zu urteilen oder jemanden wegen etwas, was in seinen Augen schlechter Geschmack ist, zu verurteilen. Dennoch gibt es gelungenes und misslungenes Design und objektive Kriterien dafür. Genauso, wie es objektive Kriterien für gelungene und misslungene Fotos gibt – oder welcher ambitionierte Fotograf möchte das tatsächlich bestreiten?

Antworten

  1. Die Frage, warum man bald 30 Jahre auf die Df gewartet haben kann, ist einfach zu beantworten: Alte Säcke wie ich, die noch mit Sinar, Hasselblad, Nikon F2 usw. zu arbeiten lernten, konnten sich einfach nie daran gewöhnen, dass man zum Ändern der Empfindlichkeit oder der Verschlusszeit erst ein Menü, dann ein Untermenü aufrufen, den Menüpunkt auswählen, die Einstellung mit einer Wippe vornehmen und schliesslich bestätigen muss. Wenn es doch mit einem mechanischen Drehrad so einfach, schnell und intuitiv geht.

    Gut, das war jetzt etwas übertrieben – aber in diesen Superturbowahnsinnspixelomaten sind so viele unnütze, sinnlose Gadgets verpackt, dass ich meine D4 wohl niemals so blind, intuitiv bedienen werde wie meine alten F-Nikons. Fokus, Blende, Zeit, ein einfacher Belichtungsmesser und ganz viel Erfahrung – mehr braucht wirklich niemand. Und wer das erst mal kapiert hat, kann auf den ganzen restlichen Schrott gerne verzichten. 17 Autofocus-Modi oder 12 Weissabgleichspeicher sind doch nur Ballast.

    Ausserdem, und das ist mir ganz wichtig, kann ich ALLE meine total 21 Nikkor-Objektive jetzt wieder verwenden. Dann unter uns gesagt: Unter all den zeitgemässen Objektiven ist mir noch keines begegnet, das in der Schärfe an einige meiner alten Scherben heranreicht. Teilweise kann ich sogar wieder den Blendenring benutzen, statt an einem fummeligen Rädchen im Body drehen zu müssen. Und ob ich (ausser bei Sportaufnahmen) mit dem manuellen Focus tatsächlich langsamer bin als mit einer Highspeedsupersonic-Multiplemessfelderautofocusautomatik, wage ich aus Erfahrung zu bezweifeln.

    Mit der Kritik am missglückten Retro-Design bin ich einverstanden; da wäre viel weniger viel mehr gewesen. Aber die Möglichkeit, z.Bsp. die Verschlusszeit wie früher mit Daumen und Zeigefinger zu ändern, ohne das Auge vom Sucher zu nehmen, geschweige denn über Menüs nachzudenken, ist für einen gelernten Analoger wie mich sowas wie Weihnachten und Geburtstag gleichzeitig. Echt.

    Nichtsfürungut und allzeit mindestens Blende 4:
    Thomas

    1. Die Sache mit den alten Objektiven kann ich nachvollziehen. Wir dürfen aber wohl davon ausgehen, dass die Zielgruppe, der es um das geht, nicht groß genug ist, dass Nikon dafür eine Kamera gebaut hätte. Nikon ist einfach auf den Retro-Zug mit aufgesprungen (was grundsätzlich nicht verwerflich ist) und die meisten Abnehmer werden wohl AF-S-Objektive damit nutzen. Das Argument mit der ISO-Empfindlichkeit verstehe ich hingegen nicht: Analog bedeutet Empfindlichkeit ändern Film wechseln. Das Ändern der Empfindlichkeit muss an einer Digitalen nicht über Menü vorgenommen werden, sondern dazu drückt man einen Knopf und dreht an einem Einstellrad. Das ist, außer bei ganz billigen Kompakten, eigentlich bei allen Kameras die ich kenne so. Das ist in der Praxis deutlich simpler als einen Film, der noch nicht ganz voll ist, zurückzuspulen, einen anderen einzulegen, und bei bedarf den ersten wieder einzulegen und wieder dahin zu spulen, wo man davor war.
      Der Punkt ist doch der: Analog gab es Fokussierung, Blende, Zeit. Punkt.
      Klar ist das simpler, als der ganze elektronische Schnickschnack, den digitale Kameras bieten (und den auch eine Df bietet). Doch niemand zwingt mich dazu den Schnickschnack zu nutzen. Niemand zwingt mich die Empfindlichkeit zu ändern (so, wie sie in der Praxis früher auch von keinem Amateur geändert wurde, bis der Film voll war).
      Für mich bedeutet Fotografie Fokus, Blende, Zeit, ISO. Punkt. Das ist simpel. Der Rest ist Schnickschnack, der manchmal nett ist, ohne den ich aber ganz gut leben kann. Von daher fotografiere ich wohl sehr retro (mit 75% manueller Belichtung), egal welche Kamera ich in der Hand habe.

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