Hinterlässt die Bilderflut Spuren?

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15. Dezember 2011
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3 Kommentare

Digitalfotografie hat Bilder den Kosten enthoben. Du kaufst eine Kamera, eine Speicherkarte und einen Computer, und irgendwie: Je mehr Bilder du machst, desto besser fällt das Preis-per-Bild-Verhältnis aus. Wenn deine Kamera 100 Euro kostet und du machst ein Bild damit, hat dich dieses Bild 100 Euro gekostet. Zwei Bilder kosten dich je 50 Euro, 4 Bilder je 25 und 40 Bilder je 2,50.

Die Rechnung ist natürlich Unsinn. Niemand wird so denken. Aber es zeigt, dass ein Bild nichts mehr kostet. Sind Bilder deshalb nichts mehr wert?

Die omnipräsente Kamera

Ich habe die beliebteste Kamera bei Flickr: Ein iPhone. Ich habe auch einige Apps mit denen man Fotos machen und gleich mit coolen Effekten versehen und direkt zu Flickr, Twitter oder Facebook hochladen kann. Ich habe in den letzten Tagen auch überlegt ob ich auf den Instagram-Zug aufspringen soll. Immerhin: Jedes Bild, das du bewusst aufnimmst, trägt zu deiner Entwicklung als Fotograf bei.

Älter als die Zeitung von gestern

Aber was dann? Sind diese, in den sozialen Netzwerken publizierten Schnappschüsse, jemandem mehr als einen flüchtigen Blick wert? Ist der Tweet oder der Facebook-Status von vor fünf Minuten nicht schon älter als die Zeitung von gestern und die damit geposteten Bilder mit ihm? Dabei kann man noch nicht einmal Fisch darin einwickeln!

Sicher: Wenn ich das Glück habe mit meinem iPhone eine bemerkenswerte Szene zu erwischen, dann ist es die Publikation sicher wert. Was aber ist mit den 99,9% restlicher Aufnahmen, die nichts Spektakuläres darstellen? Wenn sie schon jetzt niemandem mehr als eine Sekunde Aufmerksamkeit entlocken können – werde ich sie selbst in einem Monat, einem Jahr oder in der Pension noch einmal anschauen wollen? Oder vergrößern sie nur einen gigantischen Haufen visueller Eindrücke in digitalen Quadraten festgehalten?

Digitalfotografie ist Freiheit (für mich)

Ich liebe die digitale Fotografie, weil sie es mir ermöglicht frei zu probieren und zu experimentieren und zu lernen, ohne, dass jedes Bild meine Geldtasche plündert. Ich genieße den Luxus Bilder zu machen, von denen ich schon vor dem Fotografieren weiß, dass das Licht, der Hintergrund oder andere Rahmenbedingungen eine gelungene Aufnahme unmöglich machen. Wenn ich mit meiner Einschätzung richtig lag, ist das Foto schnell gelöscht. Doch manchmal täuscht meine Einschätzung und das Resultat hat doch etwas reizendes. Das ist für mich auch eine Form der Freiheit.

Sicher: Analoge Fotografen können jetzt einwerfen, dass das eine feige Einstellung ist. Ich möchte, dass mich das Scheitern nichts kostet. Für den Analogfotografen ist jede Aufnahme eine Investition. 36 Aufnahmen machen einen Film voll, die Entwicklung kostet Geld und den Film kann man nach der Bildentwicklung icht wieder leeren und für die nächsten 36 Aufnahmen nutzen.

Es ist legitim diese Herausforderung zu suchen. In meinen Augen ist das weder besser noch schlechter als digital zu Fotografieren und ich würde mir den Respekt von Analogfotografen gegenüber der Digitalfotografie wünschen, den Digitalfotografen der analogen entgegen bringen. Was zählt ist die Freude an der Fotografie und Resultate, die den Betrachter berühren. Egal ob die Bilder chemisch oder elektronisch zustande gekommen sind.

Nicht jede Aufnahme ist bemerkenswert

Digitalfotografie heißt für mich aber nicht, dass ich jeden Schnappschuss und jede Aufnahme einer Serie von zwei Dutzend Ansichten einer Blume aus verschiedenen Perspektiven behalten muss, geschweige sie ins Internet stellen. Nicht jede Aufnahme ist bemerkenswert und man muss deshalb auch nicht jedes Bild archivieren. Bilder löschen ist auch ein Teil des kreativen Prozesses, dem sich der Fotograf stellen muss.

Ich werde es deshalb es wohl auch unterlassen mich mit täglich zehn Bildern an Instagram zu beteiligen und jeden Schritt den ich mache, durch unscharfe und mit Effekten versehene Bilder öffentlich zu dokumentieren.

‘Just because we can’ ist keine ausreichende Begründung für ein Bild

Digitalfotografie sollte nicht heißen, gedankenlos Speicherkarten voll zu stopfen und jeden Kuhmist zu digitalisieren. ‘Just because we can’ ist kein Ausreichendes Argument für eine Aufnahme. Wenn es mir ausschließlich ums Fotografieren geht, ohne dass mich die Resultate noch interessieren, ist das legitim – eine Speicherkarte brauche ich dazu aber nicht. Noch nicht einmal eine Batterie.

Gute Bilder sind Resultat von Kreativität, offener Augen und der aktiven Auseinandersetzung mit dem Motiv. Und das wird auch so bleiben, egal welche Ästhetik- und Kreativitätsautomatismen die Marketingabteilungen von Kameraherstellern in ihre Geräte einpflanzen. Welchen Sinn hätte Fotografie überhaupt noch, wenn am vorderen Ende der Fotograf beim Fotografieren nur mehr den Auslöser drücken muss und die Kamera alles, bis auf den Bildausschnitt und die Schärfentiefe automatisch wählt, und am hinteren Ende die Resultate eh niemand mehr sehen will?

Nicht jedes Bild ist es wert archiviert zu werden. Das meiste ist weder persönlich noch historisch eine Katastrophe, wenn man es so schnell wieder löscht, wie man es aufgenommen hat. Publizieren muss man es schon gar nicht – auch nicht ‘just because we can’.

Die Flut, die keine Spuren hinterlässt

Wir werden ohnehin von viel zu vielen Bildern überflutet. Die Welt der neuen Medien beschießt uns mit einem Dauerfeuer visueller Reize, denen wir nirgends entgehen können. Schon die guten Bilder sind um Tonnen mehr, als wir registrieren können – an Genuss kann ich dabei gar nicht denken. Wir schwimmen in einer Flut an Eindrücken die immer schneller an uns vorbei zieht.

Aber wird dieses Dauerfeuer an Bildeindrücken Fotografie überhaupt gerecht? Ist Fotografie nicht viel eher das Einfrieren der Zeit das Stille braucht die Werke zu betrachten und wirken zu lassen?

Etwas Entschleunigung, aktive Auseinandersetzung mit den Resultaten unserer fotografischen Aktivitäten und der Mut zu löschen, was nicht bemerkenswert ist, würde uns sicher gut tun. Denn die Bilderflut die aktuell an uns vorbei schwappt hinterlässt doch im Wesentlichen eines: keine Spuren.

Antworten

  1. Der Artikel breitet viele Aspekte der digitalen Bilderflut aus, von denen jeder für sich bedenkenswert ist. Niemandem soll die Freude am Fotografieren genommen werden, tatsächlich stellt sich die Frage, wer die Fotos anschauen will oder soll. Viele werden nicht einmal mehr von den Fotografen selbst betrachtet. Ich möchte nicht wissen, wie viele nur einmal angesehene Bilder auf Festplatten herumliegen. Davon nehme ich mich nicht aus, weshalb ich immer mal wieder das Archiv durchforste. Und jedesmal fliegen etliche Bilder raus.
    Ein anderer Aspekt ist die Frage, in wie weit die Bilderflut einzelne Fotos entwertet. Fotos werden zur Massenware, in der nicht einmal wirklich gelungene Bilder noch die Wertschätzung erfahren, die sie verdienen. Denn selbst davon gibt es unendlich viele.
    Zurück drehen lässt sich diese Entwicklung nicht. Deshalb heißt es nicht nur gut zu fotografieren, sondern auch gut zu sehen. Wer seinen Blick geschärft hat, kann umso leichter Qualität entdecken.

  2. Ich denke, bei dieser Spurensuche muss man unterscheiden, ob den Bildern ein kreativer Gedanke zugrunde liegt.
    Einfaches abfotografieren wie bei z.B. GoogleStreetView hat ja nun mit Kreativitaet in den einzelnen Bildern nichts mehr zu tun, auch wenn der gesamte Gedanke dahinter sehr kreativ ist.
    Natuerlich gibt es weiterhin Superbilder, doch die Suche nach der Nadel wird halt immer schwerer, je groesser der Heuhaufen wird.

  3. Ein lange Artikel; ich habe ihn gelesen und mich gefragt: „Was soll das?“ Die Bilderflut wird exterm ansteigen. Dafür werden Bildautomaten sorgen, die uns das Fotografieren abnehmen. Siehe Google Earth. Der Zug rollt weiter. Wer gerne fotografiert, muss es für sich machen und an seinen eigenen Bildern Freude haben. Die Social Networks wie Facebook, Twitter und Co. sind vollkommen belanglos, das muss man mal checken. Hast du ein gutes Foto gemacht, drucke es aus und hänge es an die Wand. vg Tom

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